Bibliophilie

100 Jahre Maximilian-Gesellschaft – ein Gespräch mit Wulf D. v. Lucius

5. Mai 2011
von Börsenblatt
Die Maximilian-Gesellschaft für alte und neue Buchkunst feiert morgen in Berlin ihr hundertjähriges Bestehen. Ein Interview mit dem Vorsitzenden Wulf D. v. Lucius.

Der Stuttgarter Verleger, Autor und Sammler Wulf D. v. Lucius ist seit zwei Jahren Vorsitzender der Maximilian-Gesellschaft. Die Gesellschaft wurde 1911 in Berlin gegründet, seit 1946 befindet sich ihr Sitz in Hamburg.

Wo steht die Maximilian-Gesellschaft heute?

Wulf D. v. Lucius: Jede kulturelle Vereinigung kann nur im Blick auf die Situation des betreffenden Bereichs insgesamt ihren Standort bewerten. Das heißt, es geht um die Frage "Wo steht die Bibliophilie heute?" Im Vergleich zur kulturellen und sozialen Situation vor hundert Jahren, als die Maximilian Gesellschaft ins Leben gerufen wurde, hat sich der Standort sehr verschoben: die eher kulturkonservative Führungsschicht des Kaiserreichs, aus der die Gründer kamen, existiert nicht mehr – das ist der soziale Wandel. Zum andern gibt es auch nicht mehr die festen Konventionen und Traditionen, auf denen der Begriff Bibliophilie damals unbezweifelt fußte – das ist der zweite, der ästhetische Wandel. Wir leben in einer Zeit sozialer Durchmischung und kultureller Vielfalt bis hin zur Widersprüchlichkeit. Dies alles gilt es bei der Gewinnung jüngerer Mitglieder zu bedenken und ebenso bei der Gestaltung der Aktivitäten der Gesellschaft, insbesondere auch bei ihren Jahresgaben, die ja seit der Gründung die Visitenkarte und der Leistungsbeweis unserer Gesellschaft sind. Die Maximilian-Gesellschaft hat diesen tiefgreifenden Wandel, insbesondere nach 1933 bzw. 1945, gut bewältigt und steht mit über 700 Mitgliedern und einem stetigen Zustrom jüngerer Mitglieder gut da. Wir wollen "das Ganze" der Bibliophilie widerspiegeln, das heißt ein sehr breites Spektrum vom frühen Buchdruck bis zum experimentellen Künstlerbuch der Gegenwart. Der echte Bibliophile ist ja nicht ein zwanghafter Kästchendenker, den nur interessiert, was er selbst macht, sondern er ist neugierig, weltoffen, rerum novarum cupidus – und solche Neuentdeckungen kann man jederzeit im Neuen ebenso gut wie im Alten machen.

Welche Funktion hat "organisierte Bibliophilie" zu Beginn des 21. Jahrhunderts?

Kulturelle Vereinigungen haben es seit einem Vierteljahrhundert mit einem neuen Phänomen zu tun: einer Zurückhaltung gegenüber festen Bindungen in Mitgliedschaften. Darauf müssen wir antworten: mit attraktiven Jahresversammlungen und einer bewussten Vielfalt in Inhalt und Gestaltung unserer Publikationen. Es gilt, viele anzusprechen, ohne den Anspruch hoher Qualität, der ja unverzichtbar zum Begriff der Bibliophilie gehört, in Frage zu stellen. Gerade diese Vielfalt ästhetischer Vorstellungen abzubilden und daraus Bindekraft für die Mitglieder, insbesondere auch neue Mitglieder zu erzeugen, ist unsere Aufgabe. Vielleicht gibt es kein Gebiet, für das das bekannte Wort Oscar Wildes "all beautiful things belong to the same age" so gilt wie für die Bibliophilie. Und diese ist ja immer janusgesichtig: es gibt die retrospektive Bibliophilie, die sich mit den Schätzen der Vergangenheit befasst, und die Gegenwarts-Bibliophilie, die auf heute und morgen schaut. Beide sind gleich wichtig und sollen bei uns ihren Platz haben. Deshalb heißt die Gesellschaft seit einigen Jahren betont "… für alte und neue Buchkunst".

Der Vorstand der Gesellschaft sieht wesentlich anders aus als noch vor zwei Jahren. Ausgeschieden sind Susanne Koppel, Horst Gronemeyer, Eva-Maria Hanebutt-Benz, Ursula Rautenberg und Walter Wilkes, neu hinzugekommen sind Stephanie Jacobs, Karl-Heinz Knupfer, Ulrich Johannes Schneider, Wolfgang Schmitz und Ernst Fischer. Ein Bruch oder der Lauf der Zeit?

Immer wieder stellt sich in Gremien die Aufgabe der Fluktuation und Erneuerung. Diese Aufgabe haben wir in den letzten Jahren zielstrebig angepackt, und so amtiert in der Tat ein weitgehend neuer Vorstand. Bis auf eine Ausnahme war jedes Ausscheiden eines Vorstandsmitglieds von diesem langfristig vorangekündigt, und es gelang so eine bruchlose Erneuerung. Wichtig ist dabei ja auch, dass die Kernfelder der Bücherwelt im Vorstand repräsentiert sind. So folgten auf den Bibliothekar Gronemeyer die Bibliothekare Schmitz und Schneider, auf die Antiquarin Susanne Koppel der Antiquar Karl-Heinz Knupfer und auf eine Direktorin eines Buchmuseums, Eva-Maria Hanebutt-Benz, die Leiterin des anderen bedeutenden Buchmuseums in Deutschland, Stephanie Jacobs. Im März wurde der Mainzer Buchwissenschaftler Ernst Fischer zugewählt. Der älteste im Vorstand bin nun ich und stehe für den nächsten Erneuerungsschritt zur Disposition – so muss das immer weitergehen.

Wäre es nicht wünschenswert und im Blick auf die Geschichte der Gesellschaft naheliegend, etwa einen sammelnden Arzt oder Juristen in den Vorstand zu holen, jemanden, der nicht beruflich dem Buch verbunden ist?

Das ist sicher eine weitere, bereichernde Möglichkeit, die Gelegenheit bieten könnte, jüngere Sammler einzubinden, die die Gegenwartstendenzen noch stärker einbringen – obwohl ich selbst durchaus auch diesen Blick auf das Neue und Kommende favorisiere.

Die Verbindung zu Hamburg, wo die Gesellschaft 1946 wiederbelebt wurde, gibt es nun praktisch nicht mehr?

Der alte Sitz der Maximilian-Gesellschaft war Berlin, das war nach 1945 aus vielen Gründen nicht sinnvoll. So wurde, zumal die Initiatoren der Neugründung, Carl Georg Heise und Ernst Hauswedell, beide in Hamburg lebten, der Sitz der Gesellschaft dorthin verlegt. Von den 100 Jahren unseres Bestehens residieren wir nun schon 64 Jahre dort. Nach wie vor halten wir Mitgliederversammlungen, auf denen ein neuer Vorstand gewählt wird, in Hamburg ab. Wir sind aber eine Gesellschaft für Deutschland (und darüber hinaus), der registerrechtliche Sitz ist da von eher marginaler Bedeutung.

Die Gesellschaft hat zuletzt viele neue Mitglieder gewonnen. Spielt da die Wahrnehmung hinein, dass das gedruckte Buch inzwischen um seinen Status kämpft, weil überall über E-Books und den Wandel bei Verlagen und im Buchhandel gesprochen wird?

Ja, es ist sehr erfreulich, dass wir einen ständigen Zustrom neuer Mitglieder erleben, derzeit sogar verstärkt. Sicher spielt dabei eine Rolle, dass die Menschen der Gutenberg-Welt Selbstvergewisserung suchen (das war 1911 nicht notwendig). Aber ein Defensivverein gegen die Digitalwelt sind wir nicht und wollen wir nicht sein. So wie man nicht digital ein Pferd reiten kann, kann man auch nicht das schöne Buch digital erleben. Das Digitalisat ist ein praktisches Arbeitsmittel, und keiner von uns – zumal wenn einst die Idee der digitalen Weltbibliothek Realität geworden ist – wird diese nicht laufend benutzen. Aber -Bibliophilie wird davon nicht tangiert – (auch nicht als positive Gegendroge): sie ist etwas zutiefst Sinnliches und auch getragen vom agonistischen Jagdfieber. Bei uns heißt es gerade nicht "Teilhabe statt Besitz", sondern der Besitz ist das movens.

Welche Pläne hegen Sie für die Gesellschaft in den kommenden Jahren?

Neben der sorgfältigen Auswahl unserer Publikationen und dem Bemühen um eine gute Kommunikationspolitik durch Rundschreiben und unsere Website, die kürzlich rundum erneuert wurde und meines Erachtens sehr gelungen ist, ist es wichtig, über neue Wege der persönlichen Begegnung unter Bücherfreunden nachzudenken. Darin liegt ja der Sinn jeder Gesellschaft, dass sich die Mitglieder auch real begegnen und nicht nur Empfänger von schönen (auch wertvollen) Jahresgaben sind. Dazu könnten lokale Bibliophilenkreise vielleicht ein Weg sein.

Und virtuelle Begegnungen? Könnten Sie sich eine Facebook-Seite der Maximilian-Gesellschaft oder ein anspruchsvolles "Biblio-Blog" vorstellen?

Das ist ein sehr interessanter Gedanke, den wir auf jeden Fall versuchen sollten. Allerdings gibt es viele tote Seiten im Netz – sie leben nur, wenn permanent viele mitmachen. Die älteren Bibliophilen sind da wohl nicht so recht medienaffin und die jüngeren haben vielleicht nur begrenzt wirklich Substantielles beizutragen – eine von zufälligen Beiträgen geprägte Seite wäre der Maximilian-Gesellschaft nicht angemessen. Aber für diese neue Welt der Kommunikation bin ich nicht der Experte; die Chancen sehe ich sehr wohl.

Die Fragen stellte Björn Biester.

Aus Anlass des Jubiläums ist vor wenigen Tagen eine Festschrift erschienen: 100 Jahre Maximilian-Gesellschaft 1911 bis 2011. Hrsg. im Auftrag der Gesellschaft von Wulf D. v. Lucius. Mit Beiträgen von Björn Biester, Reinhold Busch, Eberhard Köstler, Wolfgang Schmitz und Ulrike Stoltz. Hamburg: Maximilian-Gesellschaft, 2011, 48 Euro, ISBN 978-3-921743-59-1, Mitglieder erhalten die Festschrift als Jahresgabe 2011).