100. Geburtstag des Verlegers und Rennfahrers Paul Pietsch

"Immer das Feld anführen"

20. Juni 2011
von Börsenblatt
Es gibt Momente, in denen führt an Klassikern nichts vorbei: zum Beispiel wenn ein großer Sportler und nicht minderer Verleger, der sein erstes Autorennen Anno Domini 1932 in einem gebraucht gekauften Bugatti 35B fuhr, 100 Jahre alt wird. Heute Mittag im Neuen Schloss zu Stuttgart war ein solcher Moment gekommen. Paul Pietsch, den Gründer der Motor Presse Stuttgart, galt es zu feiern, und so ging es schon klassisch los mit einem Streicher-Arrangement des alten Swing-Titels "Makin’ Whoopee".
Danach gediegener: Minister Nils Schmidt, Mr. VW Ferdinand Piech, Focus-Verleger Hubert Burda – aber auch die hochmögende Riege der Gratulanten schlug einen heiter bis beschwingten Ton an. Dem Jubilar gefiel das sichtlich.

Gleich mehrere Redner des Festakts im edlen Weißen Saal des Schlosses erinnerten daran, dass das verlegerische Projekt des Paul Pietsch im ersten Nachkriegsjahr 1946 geradezu utopisch begonnen hatte. Zurück aus Krieg und Gefangenschaft, trifft Pietsch im zerbombten Freiburg seine beiden Rennfahrerfreunde Ernst Troeltsch und Josef Hummel wieder. Die drei beschließen, es mit einer Autozeitschrift zu versuchen, die ihnen Geld einbringen soll für die Wiederaufnahme ihrer Leidenschaft: der Rennfahrerei.

Trotz der zunächst ablehnenden Haltung der für eine Lizenz zuständigen französischen Militärregierung ("In Deutschland wird es nie wieder so viele Autos geben, dass eine Autozeitschrift nötig wäre") kommt Pietsch auch an dieses Ziel. Im Dezember 1946 gelingt ihm die Premiere von "DAS AUTO", dem Vorläufer der bis heute am Markt der autobegeisterten Leser führenden "auto motor sport" mit einer Startauflage von immerhin 30.000 Exemplaren.

Basis für diese wie für die vielen anderen Erfolgsgeschichten im langen Leben des Paul Pietsch mag dessen »unbedingter Wille« gewesen sein, »immer das Feld anzuführen«, wie es VW-Aufsichtsratschef Piech in seiner Laudatio formulierte. Pietschs Sohn Peter-Paul rief der Stuttgarter Festversammlung ein Lebensmotto seines Vaters in Erinnerung: "Was du nicht gern tust, das lass lieber sein" – was wiederum Pietschs Tochter Patricia Scholten (Chefin der eigenständigen, familiengeführten  Paul Pietsch Verlage) in einer Biografie ("Doppelsieg") ihres Vaters zu der Feststellung gebracht habe: "Er wollte das, was er machte; und er machte das, was er wollte."

So blickt der letzte noch lebende Große-Preis-Rennfahrer der dreißiger Jahre heute auf ein international tätiges Verlagshaus mit Beteiligungsgesellschaften in 13 Ländern weltweit, auf eine nach wie vor im Familienbesitz befindliche Ratgeber-Verlagsgruppe (Motorbuch Verlag, pietsch, Müller Rüschlikon, transpress, Bucheli) – und während des Festakts zu seinen Ehren auf einen stellvertretenden Ministerpräsidenten Nils Schmid, der ihm zurief: "Ein wenig Benzin im Blut kann nicht schaden.« Zeitschriftenverleger Hubert Burda hatte in seiner höchst unterhaltsam vorgetragenen Würdigung des Verlegerkollegen das biografische Sonderformat des Jubilars zuvor auf eine historische Formel gebracht: »ein Leben vom Kaiserreich bis zum grünen Ministerpräsidenten".

Große Freude im Schloss. Draußen demonstrierten Fußgänger gegen "Stuttgart 21".