Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb

Der „Bewerb“ und die Muppet-Show

11. Juli 2011
von Börsenblatt
Von irritierenden Texten, gutgelaunten Juroren, geklauten Tischtüchern, einem Sockentausch und einem Reizgasangriff. Galiani-Verleger Wolfgang Hörner über seine Bachmann-Tage in Klagenfurt.

Eröffnung und Bürgermeisterempfang

„Heuer“ (wie der Einheimische sagt) also wieder Klagenfurt. Diesmal in einmaliger Konstellation: drei Autoren dabei, gut verteilt: einer als Teilnehmer des „Bewerbs“, nämlich Linus Reichlin; einer als Teilnehmer der  Jury (Alain Sulzer ) und einer als Stadtschreiber (Peter Wawerzinek). Alle natürlich am Eröffnungsabend dabei, was aufmerksamkeitstechnisch in Bedrängnis bringt. Bei der Eröffnung allerdings auch gleich der erste Moment der Erleuchtung:  Die Orgie der gefürchteten Vorreden (fünf oder sechs an der Zahl), die der eigentlichen Hauptrede vorangehen, die wiederum erst dem eigentlichen Ereignis des Abends vorangeht (nämlich der Auslosung der Reihenfolge), entwickelt einen ungeahnten, absurd stimmungshebenden Aberwitz: Man kennt die Vorredner sowie Art und Inhalte ihrer Reden  schon aus den Vorjahren, sie treten immer in derselben Reihenfolge auf und die personelle Besetzung ist auch mehr oder weniger die gleiche.

Alles ist also praktisch wie in der Muppet-Show, wo in derselben Reihenfolge dieselben Figuren in immer neuen Variationen ihre eigene Rolle spielen, und sich dabei an Bizarrerie immer neu selbst zu übertreffen suchen. So auch diesmal, wobei wie eine Art Generalbass der aufgrund der Konkurrenz des Iron-Man-Wettbewerbs in Klagenfurt in den Juli verlegte Termin der Veranstaltung mitschwingt.  Platt gesagt: der Muskelmann hat die Bachmann nach hinten verdrängt. Aber man versucht, es nach einem klugen Arrangement aussehen zu lassen. 

Überall klingt es dabei aber ein wenig, als entsprächen die Kräfteverhältnisse den körperlichen Erscheinungen der Teilnehmer: hier der hünenhafte Muskelmann, da der eher dünnbrüstige Dichter – und auch, wenn die Kulturfraktion stolz darauf verweist, dass man „heuer“ das Rathaus mit einem riesigen Plakat „markiert“ habe, beziehungsweise Liegestühle mit Bachmann-Sprüchen in der Fußgängerzone aufgestellt habe, oder wenn der Kulturstadtrat sehr stolz auf den Bachmann-Preis als Touristikfaktor verweist und als nächste Sensation gleich den Body-Painting-Wettbewerb und das Beach-Ball-Grand-Slam ankündigt – ein wenig klingt es immer, als sei der „Bewerb“ dann doch der kleinere Bruder des Sports, den man halt doch auch gernhabe.

Dabei legen sich alle mächtig ist Zeug: Der optische Gestaltungswille von 3sat ist diesmal erheblich. Taschen werden ins Gras drapiert, gar ein Kamerakran wird  aufgefahren. Der Lendhafen in der Nähe des ORF-Theaters ist mit großer Leinwand zur Direktübertragung des Bewerbs ausgerüstet und bietet abends Programm, beim Bürgermeisterempfang am Donnerstag gibt es richtig gute Musik. 

Nur der ehemalige Stadtschreiber Karsten Krampitz fehlt, der jüngst bei einem jährlich stattfindenden Veteranentreffen aus dem Zweiten Weltkrieg, bei dem wohl auch der Bürgermeister als Ehrengast da war, Festzelt-Verbot bekam (er hatte sie vorher in der Zeitung als alte Nazis bezeichnet). Krampitz also nicht auf dem Bürgermeisterempfang.

Am Ende der Eröffnungsnacht bildet sich noch eine Gruppe von Spätbadewilligen (das ORF-Theater liegt stadtauswärts Richtung See), die aber keine Handtücher dabei haben. Einige heimlich ausgeliehene Tischtücher des Buffets lösen das Problem. Das Wasser ist herrlich.

Erster Tag

Am ersten Wettbewerbstag kommt zum Glück auch Kollegin Esther Kormann eingeflogen – das erleichtert die Autorenbetreuung, die schon am frühen Morgen einsetzt: Jury-Mitglied ruft an und fragt, ob ich ein paar zum dunklen Anzug passende schwarze Socken übrig habe, seine kämen erst am Nachmittag mit einem Freund angereist. Na ja, ich bin zwar auch mit letztem Sockenaufgebot nach Klagenfurt gereist, aber er kann welche haben.

Die Lesungen am ersten Tag dann (außer Geltinger) eher schwach, auch die Jury muss sich finden.  Da ich völlig übermüdet angereist bin (das Wochenende musste weitgehend schlaflos durchgearbeitet werden, um einen Abgabetermin Montag 8 Uhr früh zu halten), will ich es diesmal ruhiger angehen lassen. Also nur See, ein allerdings sich ziemlich hinziehender Bürgermeisterempfang am See, und dann, als eine zu weiteren Amüsements finster entschlossene Gruppe zum Aufbruch bläst, nur noch ein Nachtbad im Wörthersee. Spät ist es dann doch, bis man im Bett ist, man muss sich etwas zusammenreißen am nächsten Tag.

Zweiter Tag

Was anfangs aber nicht schwerfällt: Linus Reichlin, der Autor aus eigenem Haus, liest eine sehr originell gearbeitete, aber halt ehrlich gradeaus erzählende Geschichte, die die Zuhörer auch richtig in den Bann schlägt. Umso größer die Überraschung, als ein Teil der Jury meint, das sei alles banal und einer sich gar darauf versteigt, es handle sich um „Kolportage“. Wobei das, was der Text leistet, ja gerade ist, dass er einen Stoff, der zur Kolportage einladen könnte, eben gar nicht kolportagehaft erzählt (und dies gar noch kommentiert). Na ja, man ist doch verblüfft, wie reflexhaft borniert manche Kritiker noch an den längst überkommenen Begriffen von E(rnsthafter)- und U(nterhaltungs)-Literatur hängen, und diverse erzähltechnische Kniffe und Finten, beziehungsweise unkonventionelle Ansätze (es geht zum Teil sogar lustig zu  in diesem Text mit einem hochernsten Thema) gar nicht zur Kenntnis nehmen.

Ähnlich wird es später auch der wirklich witzigen und bösen Geschichte von Thomas Klupp gehen. Reichlin und Klupp haben wirklich wichtige Themen (die Unmöglichkeit militärischer Friedensmissionen im Ausland beziehungsweise die Misere des deutschen wissenschaftlichen Nachwuchses), behandeln sie aber auf eine Art, dass ein literarisches Publikum sich damit auch freiwillig, nämlich gerne lesend, damit befassen würde. Beide fallen „heuer“ zwar nicht richtig durch, aber beiden wird es von der Jury nicht wirklich sehr gedankt.  Beide riechen nach Publikumspreis. Der Autor freilich muss erst mal wieder aufgerichtet werden, was zunehmend leicht fällt, da immer mehr Kollegen zu ihm kommen und ihm sagen, wie gut sie seinen Text fanden.

Sonst ein wirklich erfreulicher Freitag, allesamt sauber gearbeitete, gute Texte von Maja Haderlap und Nina Bußmann, der von Steffen Popps Spurensuche in einem thüringischen Dorf, in dem Glas hergestellt wird, gar wirklich ungewöhnlich, wenn er auch ein wenig wirkt, als sei er genau auf diesen Wettbewerb hin geschrieben, preisheischend rätselhaft und dem Lesen – meiner Meinung nach unnötige - Widerstände gegenüberstellend.  Eine wirklich irritierende Geschichte, von der ich nicht so einfach sagen kann, ob ich sie sehr gut finde oder einfach sehr artifiziell (und letztlich dann doch zu kunstgewerblerisch), ähnlich den gläsernen Gärten Leopold und Rudolph Blaschkas, die Hunderte von bis ins feinste Detail ausziselierte filigrane Nachbildungen von Pflanzen und Tieren aus farbigem Glas schufen: in toter Schönheit erstarrtes Leben. 

So ist die Stimmung denn auch gehoben, zumindest bei den fünf Jury-Mitgliedern, an deren Tisch ich abends sitze – und danach auch nicht noch mal in den Abend aufbreche, sondern ganz solide schlafen gehe - worüber ich froh bin am nächsten Morgen, an dem wüste Geschichten aus dem berüchtigten „Frühbeisl“ zu hören sind (einer Lokalität, die erst morgens um vier öffnet; diesmal ist von einem Reizgasangriff auf die Lokalität die Rede, den manche anfangs angeblich ignorierten und „einfach wegrauchen“ wollten). Einige der so unablässig Feierwilligen sind übrigens auf eigene Kasse nach Klagenfurt gekommen - sie machen gewissermaßen Literaturferien mit Ämüsierfaktor, Journalisten, ein ehemaliges Jurymitglied unter ihnen. Das mit dem Touristikfaktor Klagenfurt klappt zumindest bei ihnen.

Tag drei

An Lesungen Gutes und Durchwachsenes. Richtig grauslich Michel Bozikowic, auf anregende, bissige Art witzig Thomas Klupp.

Schöne Überraschung des Tages: Linus Reichlin erhält den mit 500 Euro dotierten „Automatischen Literaturkritik-Preis der Riesenmaschine“ der zentralen Intelligenz Agentur, die dann auch noch ein Wettschwimmen am Wörthersee veranstaltet (Sieger Thorsten Arend von Wallstein). ZIA-Mitglied Kathrin Passig sehe ich dann auch noch abends am Lendhafen, wo auch Thomas Klupp und der Amüsierverein sich einfinden, die dann noch bis morgens um vier in der Theaterkneipe tanzen. Diverse Elemente des Amüsiervereins fallen heute infolge Materialermüdung frühzeitig aus, der Rest tanzt, bis Schluss ist. Bevor das „Frühbeisl“ droht, radle ich Abschied winkend davon.

 Tag vier   

Beim morgendlichen Pressescan fällt mir auf, dass gestern niemand aufgefallen ist, dass es eigentlich einen echten Skandal gab: Der neue Sponsor Villi-Glas (eigentlich sei er gerühmt für sein Engagement) bekommt bei 3sat (öffentlich-rechtliches Fernsehen!!) einen Interviewplatz. Das geht nun doch wirklich zu weit! Dass ein Sponsor bei der Veranstaltung genannt wird, bei der Eröffnung eine Rede halten darf und ein Preis nach ihm benannt ist, all das ist in Ordnung. Aber dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen auf diese Art Werbung für ihn betreibt, ihm unbezahlt einen Sendeplatz gibt, das ist meiner Meinung nach wirklich zu viel. Pfui 3sat, du sonst so makelloser Sender!

Und seltsam auch, wie wenig sich die Literaten für die Zustände in Klagenfurt und Kärnten interessieren, wo es ja wirklich reichlich seltsam zugeht. Korruption und Geschaftlhuberei wohin man blickt. Wörtlich blickt: Die zwei größten Bauen, die man vom Strandbad aus sieht, sind Bordelle, aber eine öffentliche Bibliothek gibt es in der Stadt bis heute nicht. Wenigstens das Jörg-Haider-Museum wurde mangels Besuchern geschlossen, das grausliche Jörg-Haider-Denkmal steht jetzt vorm Dom im kärntnerischen Gurk.

Auffällig beim „Bewerb“: Noch nie war das Rätselraten so groß, wer wohl überhaupt auf die Shortlist käme und wer nicht, wer einen Preis bekommen solle und wer nicht, wer denn den Bachmann-Preis verdiene.

Es wird spannend. Ich gehe hinein. Noch nie wäre ich selbst so ratlos, wenn ich den Preis vergeben müsste.  ….

Ich komme heraus. Für Kärnten ist das ein brisantes Urteil und ein großer Sieg – eine slowenischstämmige Autorin mit einem Text über Partisanen bekommt den Preis.

Damit kann man leben.