Standpunkt: Wissenschaftsförderung

Planwirtschaft

22. Juli 2011
von Börsenblatt
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft stärkt weder den Eigensinn des Wissenschaftlers, noch stellt sie sich schützend vor ihn. Die Auswirkungen sind katastrophal. Meint der Stuttgarter Verleger Matthias Ulmer.

In Berlin veranstalteten Anfang Juli fünf Personen, der Geisteswissenschaftler Roland Reuß, der Jurist Volker Rieble, der Bibliothekar Uwe Jochum sowie die Verleger Georg Siebeck und KD Wolff, ein Tribunal, auf dem sie in vier ausführlichen Anklagereden grundsätzliche Kritik an der DFG, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, vortrugen. Sie kritisieren, dass die DFG entgegen ihrem Auftrag in einer Weise in die Wissenschaft eingreift, dass eine freie, unabhängige Forschung nicht mehr möglich ist, dass eine ideologisch motivierte Wissenschaftslenkung stattfindet, die verfassungswidrig ist und sich gegen jede Kritik und jede Überprüfbarkeit ihres Handelns mit satzungsrechtlichen Begründungen immunisiert.

Die DFG wurde 1951 gegründet um die Forschungsförderung der Selbstverwaltung der Wissenschaft zu überlassen und sie von politischer Einflussnahme abzuschirmen. Das war eine Reaktion auf die Erfahrungen des Dritten Reichs, in dem Forschung gleichgeschaltet worden war und Wissenschaftler nur noch dann eine Chance hatten, wenn sie der herrschenden Ideologie nach dem Mund redeten.

Es war folgerichtig, die Vergabe von Geldern der Politik zu entziehen, um Ideologien von der Forschungsförderung fernzuhalten. Wenn allerdings die Ideologie nicht mehr von politischen Parteien ausgeht, sondern von der Spitze der DFG selbst, dann bekommen die Strukturen der DFG, ihre Kritikfähigkeit, ihre Offenheit, ihre Transparenz und die Freiheitsgrade, die sie Wissenschaftlern lässt, besondere Bedeutung.

Oberstes Ziel jeder Wissenschaftsförderung sollte die Stärkung des Eigensinns der forschenden Individuen sein. Die in der DFG ausgeübte zentrale Planung gibt dagegen originellen Forschern keine Chance mehr, auf neue Herausforderungen schnell zu reagieren. Die DFG gibt zentral Normen vor, nach denen Forschung gefördert werden kann. Und diese Normen basieren auf Gegebenheiten aus der Vergangenheit.

Da die Existenz von Forschern und ihren Mitarbeitern von den finanziellen Mitteln der DFG abhängig ist, weil diese fast den gesamten Forschungsetat von Bund und Ländern verwaltet, muss der Wissenschaftler seine Forschungsvorhaben genehmigungsfähig gestalten, sein Wissenschaftsethos dem Zwang unterwerfen, um im System Überlebenschancen zu haben.

Worin besteht nun die Ideologie? In den 70er Jahren waren die Naturwissenschaften gegenüber den Geisteswissenschaften vernachlässigt. Eine Verschiebung der Förderung war notwendig und führte zu Anpassungen der Vergaberichtlinien, die etwa die Anschaffung von Geräten für Labors förderte, die Arbeitsmittel für Geisteswissenschaftler, die Literatur, dagegen nicht.

Das Aushungern der Geisteswissenschaften hat inzwischen absurde Züge angenommen, wenn etwa Universitäten geisteswissenschaftliche Lehrstühle auflösen, um durch Umwidmung der Gelder auf die Naturwissenschaft bessere Chancen bei ihren Anträgen für die Exzellenzinitiative zu bekommen. Oder wenn die in den Naturwissenschaften zweifellos wichtigen digitalen Medien so gefördert werden, dass den Bibliotheken für die Anschaffung der für geisteswissenschaftliche Forschung notwendigen gedruckten Medien keine Gelder mehr bleiben.

In den 80er Jahren wurden die Wissenschaften zusätzlich dem Diktat der Ökonomisierung unterworfen. Die Gesellschaft erwartete höhere Effizienz von den Universitäten und diese ergaben sich in Ranking- und Evaluierungsprozesse, die den Wert einer Forschung nur noch am Output von Veröffentlichungen und der internationalen Zitationshäufigkeit dieser Veröffentlichungen maß.

Dieses Bewertungssystem mag in gewissem Maß Aussagen über naturwissenschaftliche Forschung treffen. Es erzwang in jedem Fall einen Wechsel in die international rezipierbare Wissenschaftssprache Englisch und erzeugte eine Abkehr von der angewandten Forschung hin zur Grundlagenforschung. Die Geisteswissenschaft blieb dabei weiter auf der Strecke.

Die DFG betreibt mit ihrer Mittelvergabe und den Anforderungen an Forschungsvorhaben eine gezielte Stärkung der Naturwissenschaften gegenüber den Geisteswissenschaften; sie greift in das Publikationswesen der Wissenschaftler ein, indem sie einen Wechsel vom gedruckten auf das digitale Medium erzwingt; sie arbeitet an der Errichtung einer zentralen wissenschaftlichen Publikationsplattform mit dem Zweck einer Eliminierung des wissenschaftlichen Verlagswesens. Und statt sich dem Wahn der Evaluierungen, Rankings und Exzellenz­initiativen aus der Politik zu erwehren und sich schützend vor ihre Wissenschaftler zu stellen, erzwingt sie die Unterordnung des Einzelnen unter diese wissenschaftsfernen Ideen.

Ein Gegensteuern, ein Ausbrechen aus dem Wahn des Rankens und Evaluierens, ist zwar Wunsch der meisten Wissenschaftler, die Vorgaben der Geldvergabe durch die DFG lassen ihnen aber keine Chance. Angesichts größter Ratlosigkeit in Politik und Wirtschaft bedarf die Gesellschaft der Geisteswissenschaften mehr denn je. Bei dem bestehenden System der Forschungsförderung wird sie diese aber, wenn überhaupt, dann erst in vielen Jahren bekommen.

Die Strukturen der Planwirtschaft in der DFG lassen eine schnelle Anpassung nicht zu. Sinnvoll wäre eine Zerschlagung dieser Planwirtschaft und eine Rückgabe der Verantwortung und der Gelder für die Forschungsförderung an die Universitäten und ihre Forscher. Ob mit der kleinen Lösung, der Forderung nach mehr Transparenz auf der einen Seite und weniger ausgeübter Forschungslenkung auf der anderen, eine Besserung erzielt werden kann, muss man sehen.

Die Reaktion auf die Kritik der vier Akteure erfolgte prompt. Der Präsident der DFG und einzelne in der DFG zusammengeschlossene Amtsträger verwarfen sie pauschal und ohne die Vorträge im Einzelnen zu kennen. Die angestoßene Diskussion wird die DFG aber kaum durch Dekrete zum Verstummen bringen können.