Buchmarkt 2025

Unkraut aus dem Internet

12. August 2011
von Börsenblatt
"Die Not ist groß - Es fehlt eine rettende Idee für die Buchbranche", meint Lorenz Borsche zu These 4. "Die Umsatzrückgänge im Bereich gedrucktes Buch werden durch Umsatzwachstum im Bereich Paid Content ausgeglichen." Den vollständigen Meinungsbeitrag lesen Sie hier.

Aus Wikipedia: »Mit Paid Content wird der kostenpflichtige ... Handel mit digitalen Inhalten (Content) in rein digitalen Medien bezeichnet. ... Der Kunde ruft digitale Güter ab, die als gelieferte Produkte verstanden werden können.«

Ein Viertel aller Umsätze mit gedruckten Büchern soll bis 2025 verschwinden. Aber das wird ohnehin geschehen. Warum? Weil sich schon in den vergangenen Jahren die angeblichen Zuwächse, inflationsbereinigt und kumuliert, realiter zu Rückgängen addiert haben. Gegenüber dem Brutto­inlandsprodukt hat die Branche seit 1990 eindeutig verloren, der Anteil unserer Branche am Wirtschafts­geschehen ist rückläufig und er wird es bleiben.

Und nun noch die digitale Revolution. Inhalte wandern ab ins Netz, Autoren machen sich selbstständig und pfeifen auf Lektoren und Verleger. Das große Glücksspiel ist bald nicht mehr das Samstags-Lotto, sondern der Amazon-E-Book-Marketplace. Du musst ja nur einen kleinen Bestseller schreiben und für 99 Cent millionenmal vertickern, flüstern die Auguren. Und was passiert dann? Nun, Schrott gibt’s viel auf der Welt und Menschen werden seiner schnell überdrüssig. Wenn der Schrott erst mal alles qualitativ Gute völlig überwuchert, dann wendet sich nicht nur der Gast mit Grausen ab. Und dieser »paid content« soll die 25 Prozent Umsatz ersetzen, die durch das mutwillige Verderben der Lese­kultur verloren gehen?

Wer schon lange im Netz unterwegs ist, hat vieles kommen und gehen sehen, vor allem Kostenloses. Viel Unkraut ist da gewachsen und wenig wirklich Gutes. Bei »paid content« durch Jedermann bin ich mir nicht so sicher, zu welcher Kategorie er gehören wird. Aber in einem Punkt bin ich mir ganz sicher: Er wird die Verluste beim gedruckten Buch nicht im Mindesten ersetzen – von der Tatsache, dass die wenigen Erlöse dann hauptsächlich am stationären Buchhandel vorbeifließen werden, mal ganz abgesehen.

Und sollte mit These 4 vor allem der Lexikon-, Wissenschafts- und Fachbuchbereich gemeint gewesen sein: Duden / Brockhaus hat in Mannheim mal 400 Mitarbeiter ernährt. Nach mehreren Entlassungswellen sind es noch – 200? Den Rest hat Wikipedia ver­schlungen. Warum sollten die Forscher von morgen für ihre Veröffentlichungen noch Springer Science brauchen?

Ein realer Umsatzrückgang von 25 Prozent in 15 Jahren braucht nichts weiter als eine Differenz zwischen »Branchenwachstum« und Inflation von 1,7 Prozent – und das schaffen wir auch ganz ohne Abwanderung von (un)be­zahlten Inhalten ins World Wide Web. Und das WWW ist vor allem eine Umsonst-und-Draußen-­Kultur, wer das leugnet, war in den letzten Jahren irgendwo anders unterwegs. Es ist nun mal der Vor- und Nachteil der digitalen Information, dass sie sich ohne jeden Verlust teilen lässt. Und wieder teilen. Und wieder teilen. Da kann man nur mit Goethe seufzen: »Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los.«

Text: Lorenz Borsche, Mitglied des Vorstands der Einkaufsgenossenschaft eBuch

In der nächsten Ausgabe kommentiert Oliver Zille, Chef der Leipziger Buchmesse, These 36 zur Entwicklung des Messeplatzes Leipzig. Alle Thesen und bisherigen Beiträge finden Sie auf boersenblatt.net.