Buchmarkt 2025

Der Traum von der Retromesse

18. August 2011
von Börsenblatt
Warum soll sich Leipzig nur mit der Vergangenheit beschäftigen? Fragt Oliver Zille, Chef der Leipziger Buchmesse.

Leipzig, März 2025: Das alte Messehaus am Markt wird mit der Retromesse "Leseland" wiedereröffnet. Die Aufzüge ächzen, die Luft ist stickig und alles internetfreie Zone. Staunend schieben sich Massen an den Verlagskojen vorbei; einige Konzern-Imprints haben extra für die Schau Papier-Sondereditionen ihrer iPad-Programme aufgelegt. Echte Bücher in die Hand nehmen – für die Besucher ein selten gewordenes Vergnügen. "Es war nicht alles schlecht", ruft mir Uwe Tellkamp zu und eilt zur Signierstunde. "Die Leipziger Buchmesse", hallt es durch meinen Kopf, "kann sich als Messe für das gedruckte Buch profilieren und so Rückgänge in Wachstum umkehren." Schweißgebadet wache ich auf.

"Wenigstens für euch sind die Dinge doch klar", meinten Kollegen nach der Vorstellung der 55 Thesen. Das ist euer Konzept und das baut ihr aus. Hat sich Leipzig aber jemals explizit nur als Messe für das gedruckte Buch verstanden? Wieso sollen gerade wir uns nur mit der Vergangenheit beschäftigen? Dass Buchmessen mit schrumpfenden Flächen und rückläufigen Ausstellerzahlen rechnen müssen, will mir so pauschal auch nicht einleuchten. Richtig ist: Fach- und Publikumsmessen werden sich künftig unterschiedlich entwickeln; wer dabei welche Margen erwirtschaften kann, bleibt spannend.

Wir sehen uns als Messe, die neue Inhalte ans Publikum bringt – mit breiter Wirkung. Dazu bedienen wir uns schon heute vieler Kanäle, die weit über das klassische Buch hinausgehen – von Hörbuch, Comic und Film bis zu den Live-Veranstaltungen von "Leipzig liest", deren "Content" man in Zukunft vielleicht als gedrucktes Buch, vielleicht aber auch in anderen Formen käuflich erwerben wird.

Unser Publikum ist jung und mobil, sein Mediennutzungsverhalten ändert sich. Wie können wir es an die Messe binden und neue Besucher gewinnen? Dazu lohnt sich ein Blick auf die Motivationslage: Das Gros unserer Besucher verlangt nach Unterhaltung und Bildung, sucht direkten Autorenkontakt, möchte sich von der Messeatmosphäre inspirieren lassen. Die emotional mitreißende Leipziger Buchmesse gibt es nicht per Mausklick.

Auch nach Markteinführung der neuen E-Reader-Generation deuten die umlagerten Stände der Publikumsverlage darauf hin, dass das gedruckte Buch immer noch favorisiert wird. Große Neugier war aber auch im neuen Ausstellungsbereich "Digitale Medien" spürbar, in dem sich unter anderem Literaturportale und Web-Radios einquartiert haben. Wir Messemacher beobachten sehr genau, wie "alte" und "neue" Lesewelten sich durchdringen.

Dieser Perspektivwechsel kommt mir in den 55 Thesen zu kurz. Wer nur auf die Verluste schaut, wird das Neue nicht sehen. Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann. Die Messe ist auch Experimentierfeld für das neu auszu­tarierende Verhältnis von analoger und digitaler Kultur. Wir werden es mit neuen Marktteilnehmern, neuen Geschäftsideen zu tun bekommen.

Wir lieben das gedruckte Buch – den neuen Herausforderungen werden wir aber nicht die Stirn, sondern ein Miteinander anbieten. Wenn es uns weiter gelingt, den Lesern die wachsende Vielfalt der Inhalte und Formate interessant darzubieten, können wir nur gewinnen.

In der nächsten Ausgabe kommentiert Monika Kolb-Klausch, Bildungsdirektorin des Börsenvereins, These 46 zur Ausbildung. Sämtliche Thesen und bisherigen Beiträge finden Sie auf boersenblatt.net.