Analyse

Der Amazon-Verlag – Freund oder Feind?

19. August 2011
von Börsenblatt
Dass Amazon mit dem Bestseller-Autor Timothy Ferriss ins Verlagsgeschäft einsteigt, beunruhigt Verlage und Buchhändler in den USA. Dennoch steht deshalb nicht der Untergang des traditionellen Buchhandels bevor. Eine Einschätzung von Börsenblatt-Redakteur Michael Roesler-Graichen.

Zunächst einmal nutzt Amazon.com seine immensen finanziellen Ressourcen und seine Vertriebsmacht, um die Aktivitäten auf neue Geschäftsfelder auszudehnen. Es folgt damit einer strategischen Logik, die auch für andere Internet-Konzerne wie Apple und Google leitend ist: den Wettbewerb in das Kerngeschäft der Konkurrenz hineintragen und auf Verdrängung setzen. Wobei die Konkurrenz in diesem Fall die klassischen Buchverlage sind, die Amazon.com mit einem riesigen Angebot an E-Books bestücken und damit wesentlich zur Expansion des E-Book-Geschäfts über den Kindle Store beigetragen haben.

Mit seinen Autoren- und Lizenzmodellen (Amazon Encore, Amazon Crossing, Montlake Romance, Thomas & Mercer etc.) hat die Verlagstochter Amazon Publishing den Weg ins verlegerische Geschäft bereits eingeschlagen. Neu ist, dass Amazon jetzt mit Timothy Ferriss einen Bestseller-Autor unter Vertrag nimmt, der seine Bücher bisher beim Random-House-Imprint Crown verlegen ließ. Als Nummer 1-Autor der "New York Times"-Bestsellerliste wird er natürlich für ganz andere Verkaufszahlen – vor allem im Kindle Store – sorgen.

Ob dieses Beispiel Schule macht, wird sich zeigen. Nicht jeder (Bestseller-)Autor wird seinem angestammten Verlag den Rücken kehren, nur weil ihm bei Amazon bessere Konditionen winken (etwa höhere E-Book-Honorare) oder weil er wie Ferriss überzeugt ist, dass Amazon Publishing für die "Zukunft des Verlegens" steht. Gerade bei Belletristik-Autoren spielt die Lektor-Autor-Bindung eine oft entscheidende Rolle.

Schwachpunkt stationärer Vertrieb

Ein weiterer Punkt kommt hinzu: Selbst wenn Amazon Publishing Bücher im großen Stil als Hardcover, E-Book und MP3-Download vermarkten kann, hat es ein Vertriebsproblem im stationären Handel. Sowohl bei großen Filialisten wie Barnes & Noble als auch bei unabhängigen Buchhändlern wird Amazon auf wenig Gegenliebe stoßen. Dies zeigen die ersten Reaktionen aus dem Handel.

Ein Fillialist wie Barnes & Noble wird kein Interesse daran haben, einem Verlag zu Umsätzen zu verhelfen, dessen Mutterunternehmen nichts anderes im Sinn hat als dem stationären Handel Marktanteile abzujagen und dessen Online-Ambitionen zu bremsen. (Gerade Barnes & Noble ist mit seinem Lesegerät Nook und dem E-Book-Store ein ernstzunehmender Konkurrent für Amazon geworden.)

Für den unabhängigen Buchhandel ist der Online-Riese Amazon ohnehin eine Gefahr. Kein Buchhändler wird ein Interesse daran haben, seine Abschaffung mitzufinanzieren. Andererseits könnte eine Verweigerungshaltung der Sortimenter Amazon wiederum in die Hände spielen. Der Ausgang der Partie ist also noch offen.

Freund und Feind der Verlage

Die Konzentration von Produktion und Vertriebswegen ist es, die den Fall Amazon Publishing auch für die Verlage so kritisch macht: Amazon ist für sie, wie Victoria Barnsley von HarperCollins betont, ein äußerst wichtiger Handelspartner, andererseits versucht das Unternehmen, den Verlagen mit seiner neuen Verlagssparte das Wasser abzugraben: Bestseller-Autoren werden abgeworben, Newcomer durch die Self-Publishing-Imprints aufgebaut, die Verhandlungsposition der Verlage in der Honorarfrage durch eine womöglich aggressive Kalkulation (mit erheblich höheren Honoraranteilen) geschwächt, die Preishoheit der Verlage (wenn nicht auf dem Klagewege, dann durch Dumping-Preise) ausgehebelt.

Barnsley bringt die zwiespältige Rolle Amazons auf den Punkt: "Wir nennen sie 'Frenemies'" – Freund und Feind zugleich.

Bisher ist Ferriss nur ein Anfang. In den kommenden Monaten wird sich zeigen, ob Amazon Publishing-Chef Larry Kirshbaum noch weitere "big deals" glücken. Und man darf neugierig sein, wie der stationäre Handel reagiert, wenn die Bestellungen für das Frühjahr herausgehen. Im April soll dann nämlich Tim Ferriss' neuer Ratgeber "The 4-Hour Chef" ausgeliefert werden.