Meinung: Foodfotografie

Aufregend wie ein Hotelfrühstück

15. September 2011
von Börsenblatt
Kochbücher, die sich weltweit verkaufen sollen, schmecken am Ende fade. Meint Foodfotograf Günter Beer, Leiter des Foodphoto Festivals in Tarragona.

Essen muss man sehen. Und riechen und schmecken und erleben. Riechen und schmecken lässt sich zweidimensional nicht reproduzieren. Aber das Sehen und auch die Vorstellung vom Erleben. Foodfotos vermitteln neben Sachinformationen – so groß werden die Zwiebeln geschnitten, so braun ist das Fleisch geröstet – eben auch Gefühle: "Das will ich essen" und "Da will ich sein". Bilder können das viel unmittelbarer als Texte. Die Kochbuch-Nutzer haben sich daran gewöhnt.

Einem Indonesier läuft beim Anblick von Blacan das Wasser im Munde zusammen, unsereins passiert das eher beim Anblick eines Pilzgulasch. Die Anpassung an den internationalen Geschmack macht viele Kochbuch-Produktionen visuell so aufregend wie ein Hotelfrühstück – auf den kleinsten gemeinsamen Nenner getrimmt. Ein sichtbares Hühner-Knochengelenk kann ein Buch in den USA schwer verkaufbar machen. Zu geleckte Zutaten und nagelneue Styling-Elemente, hilfreich auf dem US-Markt, erzeugen hierzulande eher den Eindruck von Geschmacksneutralität. Foodfotograf – ein Traumjob? Vor dem Hintergrund international vermarktbarer Produktionen eher eine Aufgabe für Minensucher.

Personality: Jamie Olivers Kochbücher sind millionenfach verkauft. Nicht zuletzt wegen der kongenialen Zusammenarbeit mit David Loftus. Dessen Bildsprache übersetzt Jamie Olivers Kochstil für die richtige Zielgruppe. Jamie Oliver kennt jeder, aber wer ist David Loftus? Ich würde mir wünschen, dass Verlage den Anteil, den Foodfotografen an einem gut gemachten Kochbuch haben, ihren Kunden deutlicher vermitteln.

Auf Amazon sind derzeit 975.000 unterschiedliche Titel zum Thema Kochen gelistet. Einer der Gründe für die Menge: Foodfotos altern schnell – billige und zeitgeistige Foodfotos altern besonders schnell. Es gibt nur wenige herausragende Fotografen, die es schaffen, Fotos modern aussehen zu lassen, ohne das Verfallsdatum mit einzubauen. Hans Hansen, der seit vielen Jahren unter anderem für den "Stern" die Foodbilder fotografiert, ist einer von ihnen. Auf dem Foodphoto Festival 2011 zeigen wir die Serie "Algen", die er in Zusammenarbeit mit der Food-Stylistin Frauke Koops für die Zeitschrift "Mare" fotografiert hat. Denn das Festival soll auch ein Schaufenster sein: für das, was Foodfotografie heute leistet.

Mit den hintergrundbeleuchteten Displays der Pads und Smartphones erfüllt sich für jeden Foodfotografen ein Traum – das ist Diaschau gegen Foto-Pappschachtel. Diese neuen Medien sind visuell, der Hauptanteil sind Bilder. Die Volltext-Indizierung kann kein gedrucktes Kochbuch leisten. Und ein Coffeetable-Buch hat man auch beim Einkaufen im Supermarkt nicht dabei. Zudem ist speziell bei Kochbüchern der Vergütungsanteil für die Urheber in den letzten zehn Jahren auf eine schwer zu verkleinernde "Größe" niederverhandelt worden. Diese neuen Medien bieten Fotografen zusammen mit Autoren die Möglichkeit, ihre Inhalte dem Endverbraucher direkt zu verkaufen. Die Verlage müssen sich darauf einstellen: Denn das Kräfteverhältnis könnte sich ändern.

Über Günter Beer: Fotografierte unter anderem Kochbücher mit Eckart Witzigmann und über 120 Food & Wein Reportagen für den "Feinschmecker". Initiator und Leiter des Foodphoto Festivals im spanischen Tarragona (29. September – 2. Oktober). Er ist Mitglied bei der Motovun Group Organisation und veröffentlichte die Koch-iPad App "Kochen! Das Standardwerk", die im Apple-Ranking 2010 zu den Bestsellern gehörte.

Mehr zum Kochbuchmarkt in der aktuellen Print-Ausgabe des Börsenblatts – im Extra Essen, Trinken, Genießen.