Die Sonntagsfrage

Vom Lektor zum Contentmanager: Kappen Sie jetzt Ihre Wurzeln, Herr Müller?

18. September 2011
von Börsenblatt
Der Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren (VFLL) hat bei seiner Jahrestagung in Berlin gestern über das Thema „Contentmanagement – die Zukunft des Lektorats“ diskutiert. Ist das wirklich der richtige Weg? Und wollen das Lektoren überhaupt: Content managen anstatt Inhalte auszuwählen und zu redigieren?
Ob der Begriff der Gipfel sprachlicher Eleganz ist, kann man sicher bezweifeln. In gewisser Weise sind Lektoren allerdings schon seit langem auch „Contentmanager“. Wir bearbeiten ja nicht nur Texte sprachlich, sondern sind in vielerlei Hinsicht in das Verarbeiten von Inhalten eingebunden; wir kooperieren kreativ mit Autoren und Redakteuren, entwickeln Konzepte, aktualisieren die Inhalte von Sachbüchern und vieles mehr. Übrigens sprechen wir auch vom „Content Development“.

Das mag nicht in allen Ohren wie Musik klingen, stellt aber klar, dass wir nie nur organisatorisch, sondern stets vor allem publizistisch arbeiten wollen.

In jedem Fall sind wir uns darüber im Klaren, dass uns die neuen Technologien vor spannende Aufgaben stellen. Es geht nicht nur darum, unsere EDV-Kenntnisse zu erweitern – sondern um einen grundlegenden Wandel in den Produktions- und Marketingprozessen.
                                  
Wir halten es für gut möglich, dass Lektoren – gerade auch wir selbstständigen – künftig eine noch wesentlichere Rolle in der Medienproduktion spielen werden, zum Beispiel als zentrale Entwickler und Manager von plattformübergreifenden Inhalten. In diesem Szenario stünden wir weiter als Vermittler zwischen Autoren und Verlagen, würden Materialien multimedial aufbereiten, die digitalen Rechte berücksichtigen – und das alles, ohne unsere klassische kreative Textarbeit zu vernachlässigen. Reines Management ohne die Liebe zur Sprache: Das wäre wohl für die meisten von uns kaum vorstellbar.   
                              
Im Gegenteil, der kreative Aspekt wird nicht geschmälert, sondern erweitert: Zum Beispiel kümmert sich die Lektorin der Zukunft bei einem erweiterten (enhanced) E-Book eben nicht mehr nur um die Kombination von Text und Bild, sondern auch um die sinnvolle Einbindung von Filmen, Musik und interaktiven Elementen. Je nach Marktsegment können dabei didaktische Überlegungen oder der Unterhaltungsfaktor im Vordergrund stehen.

Der VFLL begleitet seine Mitglieder in die Zukunft, indem er Workshops und Seminare anbietet sowie die Entwicklungen weiter beobachtet. Was bei all dem nicht vergessen werden darf: Freie Lektorinnen und Lektoren organisieren und finanzieren ihre Fortbildung selbst. Das müssen sie folglich auch in ihre Honorarkalkulation einbeziehen.  


Dirk Müller ist Inhaber des Lektorats Interkorrektor in Braunschweig und Pressesprecher des VFLL.