Deutscher Buchpreis 2011

"Man muss das Scheitern dazurechnen"

26. Februar 2015
von Börsenblatt
Die Autoren der Shortlist des Deutschen Buchpreises haben sich gestern Abend im Frankfurter Literaturhaus der literarisch interessierten Öffentlichkeit gestellt - im Gespräch mit Kritikern. Börsenblatt-Redakteur Holger Heimann war für boersenblatt.net dabei.

Das Datum des Auftritts der Shortlist-Autoren im Literaturhaus stand kaum fest, da waren sämtliche Karten schon verkauft. Der Reiz des einzigartigen Abends liegt im Vergleich: Hier hat man nicht nur alle sechs Bücher, sondern auch alle sechs Autoren beieinander, vielmehr: Sie sind nacheinander zu erleben – im Gespräch mit Kritikern.

Es waren gestern nur fünf, Marlene Streeruwitz hatte in London einen Termin mit der BBC. In alphabetischer Reihenfolge ging es im Halbstundentakt durch die Shortlist, und so begann und endete die Vorstellung mit einem Romandebüt.

Jan Brandt offenbarte im Gespräch mit Felicitas von Lovenberg ("FAZ"), "eigentlich noch viel länger als zehn Jahre" an seinem ehrgeizigen Erstling "Gegen die Welt", der detailverliebten Beschreibung einer ostfriesischen Dorfgemeinschaft, gearbeitet zu haben: "Man muss das Scheitern dazurechnen, alle Versuche!" Der Ehrgeiz des Projekts zeigt sich nicht nur im Umfang, sondern auch in allerlei typografischen Besonderheiten: Da laufen Texte, getrennt durch eine Doppellinie, parallel auf einer Seite, da verblasst die Schrift bis zum nur noch schwer lesbaren Grau. In der ersten Verkaufswoche habe das dazu geführt, dass das Buch reihenweise als mängelhaft zurückgegeben wurde, erzählt Brandt. Die Nominierung für den Deutschen Buchpreis wirke mittlerweile jedoch wie ein Gütesiegel.

Dem Roman "In Zeiten des abnehmenden Lichts" von Eugen Ruge ist solche Zurückweisung nicht widerfahren. Das Buch steht nach einer Reihe von begeisterten Rezensionen auf den vorderen Plätzen der Bestsellerlisten. Einigen gilt der autobiografisch grundierte, unterhaltsame und stellenweise ungemein witzige Roman über den Niedergang einer ostdeutschen Funktionärsfamilie und das Scheitern der kommunistischen Utopie als Favorit für den Deutschen Buchpreis. Auch Ruge hat einige Anläufe gebraucht für seinen Jahrhundertstoff. Für das Theater hat er Teile seiner Geschichte schon vor längerem zur Aufführung gebracht. Als Debütant mag er auch deshalb im reifen Alter von 57 Jahren nicht tituliert werden. Die entsprechende Zuschreibung von Moderator Alf Mentzer (HR) überging Ruge höflich.

Die längst etablierte Autorin und geübte Vorleserin Sibylle Lewitscharoff bezirzte das Publikum wie keine und keiner sonst an diesem Abend. Ihr war die Freude am eigenen Text, einer Hommage an den Philosophen Hans Blumenberg, dem sie ein Wunder in Form eines leibhaftigen Löwen in die Gelehrtenklause schickt, nur zu deutlich anzumerken. Und das wirkte ansteckend. Der Deutsche Buchpreis wäre für die Autorin, Liebling der Kritik und einmal mehr aufs Höchste gepriesen für ihren neuen Roman „Blumenberg“, schon die vierte große Auszeichnung in diesem Jahr.

Anders als Lewitscharoff liebt Angelika Klüssendorf den öffentlichen Auftritt wenig. Alf Mentzer war von ihr vorab informiert worden: Sie wolle lieber lesen als reden. Und noch lieber, so ist zu vermuten, weiterschreiben – in der Abgeschiedenheit eines märkischen Dorfs an der Fortsetzung ihres eindrucksvollen Romans über die schwierige Kindheit eines Mädchens, das sich allen Zumutungen und der herzlosen Mutter zum Trotz nie unterkriegen lässt. Die Kraft dazu schöpft das Kind auch aus Büchern. In ihrer Fantasie ist sie ein "mächtiger Goliathkäfer", der vor den Schlägen der Mutter davonfliegt. "Wenn ich einen Menschen sehe, dann stelle ich mir immer vor, welches Tier könnte das sein", verriet die Autorin. Welche Tierart im Literaturhaus dominierte, blieb offen.

Michael Buselmeier hat das Theater einmal geliebt, er wollte nichts sehnlicher als dort arbeiten. Das ist lange her. Aus der Enttäuschung, der Diskrepanz zwischen jugendlicher Träumerei und der anderen Realität einer Provinzbühne ist ein "Theaterroman" entstanden: "Wunsiedel". Das Regietheater als großes Ärgernis hat sich für Buselmeier damit aber nicht verflüchtigt. Das Publikum im Literaturhaus erlebte eine Theaterschelte ("der ödeste Ort", die "geistlosesten Leute"), die vermutlich nicht jeder mit den eigenen, zumal Frankfurter Erfahrungen in Einklang bringen konnte.

"Ich bekenne mich zum Hass", sagte Buselmeier. "Das ist eine gute Sache." Man muss so weit nicht gehen, um Diskussion und Auseinandersetzung als fruchtbar zu begreifen. "Die Unberechenbarkeit hat etwas sehr Positives", befand der Leiter des Frankfurter Literaturhauses, Hauke Hückstädt, mit Blick auf die von der Jury für die Shortlist ausgewählten Romane zum Auftakt des Abends. Auch dass die Jury selbst zerstritten sei, wie in den vergangenen Tagen kolportiert wurde, müsse kein Anlass zur Sorge sein, meinte Hückstädt – im Gegenteil: "Das ist schlecht für die Jury, aber gut für die Literatur!"