Meinung

"Es reicht nicht zum Leben und nicht zum Sterben"

16. November 2011
von Börsenblatt
Der Hanauer Buchhändler Dieter Dausien hat beim Branchenparlament in der vergangenen Woche mit deutlichen Worten und Zahlen die schwierige Situation kleiner und mittlerer Buchhandlungen belegt. Wenn sich an der Konditionengestaltung nichts ändert, sieht Dausien das Ende vieler Sortimente kommen. Große Bedeutung misst er der Interpretation des § 6.1 Preisbindungsgesetz bei.

Die Arbeitsgruppe zur Interpretation des § 6.1  wurde eingesetzt gemäß einem Beschluss der Vollversammlung des Börsenvereins auf den Buchtagen 2009, da die Formulierung im BPrG, die die Verlage zur Gewährung von angemessenen Konditionen verpflichtet, in offensichtlichem Widerspruch zur gelebten Wirklichkeit steht. "Angemessene Konditionen" würde heißen, dass es einer kleineren Buchhandlung nicht nur im Ausnahmefall möglich ist, rentabel zu arbeiten. Dazu ein paar Schlaglichter:

Laut Kölner Betriebsvergleich erwirtschafteten die Buchhandlungen mit 4 bis 5 Beschäftigten (umgerechnet auf Vollzeitstellen) ein Betriebsergebnis von: 2008 minus 1,1 Prozent, 2009 minus 1,0 Prozent und 2010 0,7 Prozent vom Umsatz. Buchhandlungen mit 1 bis 3 Vollzeitstellen arbeiteten in allen drei Jahren mit Verlust.

Bestehende Konditionen können Wirtschaftlichkeit nicht herstellen

Es ist also evident, dass die gewachsenen Konditionenstrukturen, die sich zwischen den Sparten entwickelt haben, dem größten Teil des kleineren und mittleren Buchhandels ein betriebswirtschaftlich sinnvolles Wirtschaften nicht ermöglichen. Dabei muss man bedenken, dass die am Kölner Betriebsvergleich teilnehmenden Unternehmen sicher nicht die am schlechtesten geführten sind, sondern die, die einen genauen Blick auf ihre Zahlen haben. Die Vermutung, dass die Gesamtsituation des kleineren und mittleren Buchhandels insgesamt noch besorgniserregender ist, liegt nahe.

Die Folgen:

Was heißt das in der Praxis?

  • Unternehmerlöhne werden nicht realisiert
, die Arbeit von Mitarbeiterinnen und Inhabern von kleineren Sortimenten wird extrem schlecht bezahlt . Die laut Kölner Betriebsvergleich dauerhaft negativen Betriebsergebnisse sind ja nur möglich, weil die Inhaber nicht die für den Betriebsvergleich eingesetzten Unternehmerlöhne realisieren können und dauerhaft unterbezahlt arbeiten. Nun kann man sagen, das sind halt Idealisten, dafür haben sie die Freude, ihr eigener Herr zu sein, jedoch ergeben sich daraus, abgesehen von der Tatsache, dass es schon etwas Peinliches hat, bei einem 60-Stunden-und mehr-Job mit einem Minimallohn von 1.500 Euro Nettoentnahmen nach Hause zu kommen, mehrere Probleme für die Zukunft der Branche:
  • Unterstes Lohnniveau
: Wo die Unternehmen am Rande der Existenz arbeiten, bleibt i.d.R. auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht viel: Bruttolöhne von weniger als 2.000 Euro sind im kleineren Buchhandel leider noch immer an der Tagesordnung. Ein Beispiel: Buchhandlungen mit 1 bis 3 Vollzeitstellen hatten 2010 einen durchschnittlichen Personalkostenaufwand von 2.269 Euro monatlich pro Vollzeitstelle, Inhaber inklusive. Das bedeutet im Falle eines Arbeitnehmers einen Bruttolohn von 1.900 Euro. Fallen diese Kosten für den selbstständigen Inhaber an, muss dieser von 2.269 Euro sowohl seinen Lebensunterhalt als auch seine Kranken-, Lebens- und Rentenversicherung bestreiten. Trotz dieser minimalen Personalkosten "erwirtschafteten" diese Buchhandlungen noch einen Verlust von 1,3 Prozent. In der nächsthöheren Größenklasse von 4 bis 5 Vollzeitstellen sah es mit 2.478 Euro Aufwand pro Vollzeitstelle nicht wesentlich besser aus. Diese Situation beschädigt nachhaltig die Attraktivität des Buchhandels für Menschen, die mit einer qualifizierten Tätigkeit ihren Lebensunterhalt bestreiten wollen. Dass es fast ebenso wenig männliche Buchhändler gibt, wie Rechtsanwaltsgehilfen, Arzthelfer oder Erzieher, zeigt nicht nur, dass Frauen mehr lesen, sondern auch dass die angebotenen Einkommen nicht dafür taugen, mehr als gerade nur sich selbst zu ernähren.
  • Fehlende Altersvorsorge: 
Eine weitere, sozusagen persönliche  Zeitbombe für viele selbstständige Kolleginnen und Kollegen ist die eigene Altersvorsorge. Wo das Einkommen kaum zum Auskommen langt, bleibt nicht viel zum "Beiseitelegen für spätere Jahre". Da sollte sich das Sozialwerk schon mal auf die Fälle kommender kollegialer Altersarmut vorbereiten.
  • Unverkäuflichkeit der Unternehmen
: Schließlich führt die strukturell schlechte Ertragssituation der meisten kleineren Buchhandlungen zur Unverkäuflichkeit der Unternehmen. War das aufgebaute Geschäft selbst mal als Teil der Altersvorsorge gedacht, können Kollegen heutzutage froh sein, wenn sie überhaupt einen Nachfolger finden, der den Laden übernimmt und sie ohne Schulden aus der Sache herauskommen. Geschweige denn, dass hier noch ein Kaufpreis zu erzielen wäre, der über einen symbolischen Betrag hinaus geht.

Weitere Schließungen vieler Buchhandlungen absehbar


Das Ergebnis dieser Situation ist, dass sich ein Großteil der kleineren und mittleren Buchhandlungen auf wirtschaftlich solch dünnem Eis befindet, dass man von einer großen Zahl Schließungen von Mitgliedsbetrieben in den nächsten Jahren ausgehen kann. Der sich ohnehin verkleinernde Markt für gedruckte Bücher und die weitere Verlagerung von Buchumsätzen auf Online-Versender werden ein Übriges dazu tun.

Auch Verlagsinteressen werden tangiert


Dass dies den Sortimentern Sorgen bereitet, liegt auf der Hand. Aber auch dem herstellenden Buchhandel kann diese Entwicklung nicht gleichgültig sein:

  1. Präsenz von Büchern im Stadtbild

    Die heute noch relativ hohe Zahl von Sortimentsbuchhandlungen sorgt noch immer für die Präsenz des gedruckten Buches in den Innenstädten. Auch dort, wo kein Filialist vertreten ist. Der Vertriebskanal Standortbuchhandlung, der nah am Leser ist und dessen persönlicher Service von seinen Kunden sehr geschätzt wird, kann den Verlagen nicht gleichgültig sein.
  2. Flächendeckende Versorgung als Voraussetzung für Preisbindung
    Die flächendeckende Versorgung mit Büchern ist der explizite Zweck des BPrG. Fällt das Netz von derzeit 3.775 Mitgliedsunternehmen des Börsenvereis in sich zusammen, sind der Sinn und damit auch der Bestand der Buchpreisbindung in Frage gestellt. Denn: Definiert man die "kleineren und mittleren Buchhandlungen" als Betriebe mit einem Umsatz von weniger als 950.000 Euro, dann sprechen wir von 3.320 Mitgliedsbuchhandlungen im Börsenverein und damit 88 Prozent der Sortimentsmitglieder. Sie erbringen mit 1,9 Millionen Euro 67 Prozent der Beitragseinnahmen aus dem Sortiment. (Eine Situation, die sich übrigens nicht wesentlich von der der Verlage unterscheidet: Hier stellen die Unternehmen bis 950.000 Euro 77 Prozent der Mitglieder.) Wenn gelegentlich gesagt wird, unter 400.000 Jahresumsatz habe eine Buchhandlung ohnehin keine Überlebenschance, dann sollte bedacht werden, dass die Gruppe bis 400.000 Jahresumsatz mit 2.507 Mitgliedern noch immer 66 Prozent der Mitgliedsbuchhandlungen stellt! Buchhandlungen unter 1 Millionen Umsatz sind also keine zu vernachlässigende Randgruppe, sondern genau sie stellen die flächendeckende Versorgung mit Büchern dar!
  3. Wenige Abnehmer diktieren Konditionen
    Aus Sicht der Verlage ist es natürlich verständlich, dass sie ungern über höhere Rabatte nachdenken. Doch je mehr sich der Umsatz der Verlage auf wenige Filial- und Onlinehändler konzentriert, je mehr sie in deren Abhängigkeit geraten, umso höhere Rabatte werden sie real gewähren müssen. Das Nachdenken über Konditionen wird ihnen dann von den wenigen Großkunden abgenommen werden. Das Ergebnis wird sicher nicht im Sinne der Verlage sein.

Appell an alle Verlage


Aus diesen Gründen sind bessere Konditionen für den kleineren und mittleren Buchhandlungen notwendig, und dieser Appell richtet sich an alle Verlage. Zweifellos wurden von den Publikumsverlagen in den letzten Jahren Verbesserungen vorgenommen, zum Beispiel durch Jahreskonditionen und Auslieferungsgemeinschaften. Und doch reichen die heute erreichbaren Margen nicht zum Leben und nicht zum Sterben. Deshalb sind alle Verlage, denen etwas am Erhalt der bestehenden Buchhandelsstruktur liegt, aufgerufen, neue Konditionenmodelle zu entwickeln, für Sortimenter, die nicht über reine Mengen auf tragfähige Rabatte kommen können. Dies muss nicht eine lineare Erhöhung für alle bedeuten, sondern kann sich auch in differenzierten Modellen ausdrücken, die den besonderen Einsatz für das jeweilige Programm honorieren. Aber das Ziel muss klar sein: Die für kleinere Buchhandlungen erreichbaren Margen müssen über dem Status quo liegen. Dies wäre dann in der Tat ein Beitrag zur Erhaltung des Sortiments in seiner flächendeckenden Struktur und damit zur Aufrechterhaltung der Buchpreisbindung.