Liebhaberstücke

"Reifeprozess im Schrank"

17. November 2011
von Börsenblatt
Das Fotobuch als Sammlerstück und Wertanlage: Ein Interview mit Hannes Wanderer, der in Berlin den Verlag Peperoni Books und eine Fachbuchhandlung für Fotografie betreibt (25books).

Wenn man liest, was gegenwärtig alles über die Krise des Buchs geschrieben wird, scheint die Konjunktur des Fotobuchs ein Paradoxon zu sein. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Wanderer: Konjunktur? Okay, es gibt immer mehr Titel, die häufig auch in sehr kleinen Auflagen erscheinen. Was unter anderem daran liegt, dass man heute auch im Digitaldruck schon sehr gute Qualität erzielt. Wodurch kleine Auflagen zu vertretbaren Preisen überhaupt möglich werden. Das Fotobuch als Sammlerobjekt ist natürlich durch Bücher wie die von Martin Parr und Gerry Badger oder „101 Photobooks“ von Andrew Roth aufgewertet worden. Das findet jetzt mit Titeln wie „Schweizer Fotobücher“ (Lars Müller Publishers) oder „Deutschland im Fotobuch“ (Steidl) seine Fortsetzung. Das ist aus meiner Sicht Fluch und Segen: Es ist einerseits natürlich ehrenhaft, solche zum Teil lange vergessenen Bücher einem größerem Publikum vorzustellen und damit wieder bekannt zu machen. Damit steigt generell die Aufmerksamkeit fürs Fotobuch, und das kann man nicht schlecht finden. Trotzdem sehe ich die Entwicklung nicht unkritisch: Die Adelung durch Experten führt dazu, dass Bücher teils zu reinen Sammlerobjekten werden und dann schnell zu sehr hohen Preisen gehandelt werden.

Es entsteht ein abgekoppelter Sammler-Markt – während Buchhändler und Verleger seit Jahren über rückläufige Fotobuch-Verkäufe klagen?

Wanderer: Das ist vielleicht etwas überspitzt formuliert. Natürlich steigt bei gesuchten antiquarischen Stücken der Preis. Bücher aus der Vorkriegszeit, aus den 50er oder 60er Jahren könnten in der Form ja gar nicht mehr produziert werden. Es gibt das Papier nicht mehr, es werden andere Drucktechnologien eingesetzt. Aber auch neue Fotobücher, meist in geringen Stückzahlen auf den Markt kommend, werden heute immer öfter aufgrund ihres Sammlerwerts und nicht aufgrund ihres Inhalts gesucht und angeschafft. Man sieht das sehr schön bei Signierstunden: Da kommen Leute nicht selten mit mehreren Exemplaren des gleichen Titels, um sie, vom Künstler signiert, im Schrank reifen zu lassen.

Das Fotobuch als Anlageobjekt?

Wanderer: Durchaus, das ist eine Entwicklung. Bei Büchern, die vergriffen sind ist das ja die Wertsteigerung auch nachvollziehbar. Zum Teil wird die Positionierung als Sammlerstück aber vom Start weg angestrebt: Kleine Auflage, signiert, numeriert, nur für kurze Zeit verfügbar. Man muss es haben – und zwar unbesehen! Aber das entspricht nicht meinem Verständnis von dem, was ein Buch leisten sollte. Eigentlich sollte ein Buch doch Inhalte einer möglichst breiten Öffentlichkeit zu vertretbaren Preisen zugänglich machen.

Sie bieten selbst auch limitierte Kleinauflagen an...


Wanderer: Ich tue das bei hervorragenden Arbeiten, für die ich auf dem normalen Buchmarkt keine ausreichende Chance sehe. Wenn Sie sich die Preise anschauen, werden Sie sehen, dass sie von mir nicht als Sammlerstücke intendiert sind. Wenn, was auch schon vorgekommen ist, die Nachfrage dann größer ist als erwartet, werden sie natürlich auch zu Sammlerstücken.

Viele Kunstbuchverlage setzen parallel auch auf spezielle Editionen ihrer Auflagenbücher...

Wanderer: Das finde ich nun wieder völlig in Ordnung. Das ist in der Regel die kostengünstigste Möglichkeit, an einen signierten Original-Print des Künstlers zu kommen – abgekoppelt vom Galerie- und Kunstmarkt. Das kann auch zur Finanzierung eines Projekts betragen. Das finde ich wesentlich angemessener, als ein Buch, das offiziell als erschienen gilt, Preise bekommt, besprochen wird – aber eigentlich nicht zu kaufen ist. Allerdings kann man nicht immer vorher wissen, wieviel Aufmerksamkeit ein Buch bekommt, die passende Auflage zu drucken ist deshalb schwer. Ich jedenfalls bin nicht ständig auf der Suche nach dem Hype, dem Außergewöhnlichen, Raren, das sonst keiner hat. Dass ich hier in meinem 25books Laden auch Stücke habe, die - in Deutschland zumindest - relativ schwer zu kriegen sind, hat ganz andere Gründe: Das sind oft kleine Verlage aus Europa, den USA, die den Weg in den regulären Buchhandel nicht finden, weil die Distribution so schwierig ist.  

Was macht Fotobücher aus Ihrer Sicht attraktiv?

Wanderer: Ich mache mit Peperoni Books themenbasierte Fotobücher – keine Ausstellungskataloge, in der Regel auch keine Künstler-Portfolios. Für mich machen die Inhalte die Bücher attraktiv. Es gibt Fotografie, die zwischen zwei Buchdeckeln am besten aufgehoben ist – auf der anderen Seite gibt es großartige Arbeiten, die aber nach einer Ausstellung verlangen. Ein gut gemachtes Buch mit interessanten Fotografien und Texten, toll gestaltet, mit gelungenem Material-Mix, exzellent verarbeitet – daraus wird natürlich ein besonderes Erlebnis.

Warum sammelt man Fotobücher – und nicht Prints?


Wanderer: Prints werden ja auch gesammelt. Arbeiten etablierter Fotografen sind mit Preisen von 10.000 Euro aufwärts für das breite Publikum aber schlicht nicht erschwinglich. Unter dem Slogan von der Demokratisierung des Kunstwerks hat es in den letzten Jahren Ansätze wie Lumas gegeben, wo Editionen in Auflagen von 100 oder 150 zu kleineren Preisen verfügbar sind. Das positioniert sich, in meinen Augen etwas unglücklich, so zwischen unbezahlbaren Galerie-Prints und einem Poster. Fotobücher, in kleinen Auflagen erscheinend, lösen bei Fotoliebhabern genau das ein – den Wunsch, etwas Besonderes zu besitzen. Ein Werk, oft auch ein Kunstwerk, das von vornherein nicht als Unikat gedacht und dennoch nicht unbegrenzt verfügbar ist.

Fotobücher, Kataloge, Künstlerbücher - die Zahl der Neuerscheinungen ist kaum zu überblicken. Auf welche Weise informiert man sich?

Wanderer: Das Internet ist die wichtigste Quelle. Es gibt soziale Netzwerke und einschlägige Blogs wie 5B4 von Jeffrey Ladd. Und natürlich die Festivals, wo rare Stücke auch gehandelt werden, von Verlagen und Buchhandlungen, die sich darauf spezialisiert haben: Die „Paris Photo“ mit der parallel laufenden „Offprint Paris“, die eben gelaufen sind. Die Art Book Fairs in New York und Amsterdam, hier in Deutschland das Kasseler Fotobuch-Festival oder die „Photo + Art Book“ Hamburg.   

Werden Fotobuch-Schätze überwiegend auf diesen Messen und Festivals oder im Internet verkauft?

Wanderer: Die Büchertische sind ungeheuer wichtig. Je höherpreisig die Sachen sind, desto mehr Wert legt man darauf, sie in die Hand zu nehmen. Bei 25books verkaufe ich ca. 50% über das Internet.

Was sind das für Leute, die Fotobücher sammeln? Gibt es einen bestimmten Typus?

Wanderer: Da gibt es keine Schubladen. Es gibt die, die an hervorragenden Arbeiten interessiert sind. Bei denen entwickelt sich eine Sammlung, die an Wert gewinnt, aufgrund ihres Sachverstands. Die stellen vielleicht 20 Jahre später fest, dass sie eine teure Sammlung  haben. In dem Moment, wo sie die Bücher gekauft haben, war ihnen das relativ egal. Andere verlieben sich in ein Buch als Sammlerstück. Und es gibt sogar Kunden, die kaufen ein Buch zweimal – damit sie es einmal eingeschweißt im Regal haben können.

Wer ans seriöse Sammeln denkt, braucht nicht nur Geld, sondern auch Zeit?

Wanderer: Wenn man eine wirklich besondere Sammlung zusammentragen will, muss man schon sehr viel Zeit aufwenden. Man muss die Festivals besuchen, die Buchhändler kennen, sich im Netz tummeln...

Was empfehlen Sie Neueinsteigern, die sich am Anfang vielleicht tatsächlich wegen der – im Vergleich zu teuren Prints – recht zivilen Preise auf Fotobücher werfen?

Wanderer: Man kann heute in einen Laden gehen und für 30 oder 50 Euro ein Buch kaufen, das sich in einem Jahr als gesuchtes Sammlerstück herausstellt.

Aber man muss seinen Leidenschaften folgen – und nicht die Dollarzeichen in den Augen haben?

Wanderer: Auf diese Weise entwickeln sich die tollsten Sammlungen. Das gilt ja generell für den Kunstsektor. Man findet einen Künstler oder eine Kunstrichtung toll, kauft ein paar Stücke. Und dann kann bei einer bestimmten Thematik etwas wirklich zu einer Art Archiv reifen. Dann macht es Sinn, das Ganze zu professionalisieren, gezielter zu suchen, um einer Sammlung wirklich Gewicht zu verleihen. Von vornherein mit einer strategischen Planung anzutreten, halte ich für illusorisch. Ohne für dieses Feld zu brennen, wird nie etwas Gescheites herauskommen. Ich würde nicht nach besonders raren Stücken suchen – ich würde im Hier und Jetzt beginnen!

Man könnte auch bei Ihnen fündig werden?

Wanderer (lacht): Nehmen Sie „Tokyo Compression“ von Michael Wolf, das Buch ist ein Welterfolg geworden. Die erste Auflage, 2000 Exemplare, war nach drei Monaten weg, heute ist es ein gesuchtes Stück, ein Klassiker. Martin Parr hat es 2010 in seine 30 „Best Books of the Decade“ aufgenommen...     

Eine normale Buchhandelsauflage...

Wanderer: Ich habe es bis zum Schluss zum regulären Ladenpreis verkauft und mit Rabbatt an den Buchhandel ausgeliefert. Inzwischen haben wir ein neues Buch gemacht, „Tokyo Compression Revisited“, mit ganz vielen neuen Bildern, einem neuen Abspann. Eigentlich stärker fast als der erste Band. Aber da spricht dann eben der Sammler: Ich möchte das „Original“, genau das Buch, was dazu geführt hat, dass die Serie weltweit bekannt wurde!

Schaut der Verleger dann ins Netz, wie sich die Preise entwickeln?

Wanderer: Klar, man ist ja neugierig. Bei Amazon.de steht es gerade gebraucht für 340 Euro. Ob sich das dann für die angegebenen Preise auch verkauft – damit befasse ich mich nicht. Das wird nie meine Baustelle sein. Ich arbeite lieber an neuen guten Büchern.

Zwei Buchtipps zum Thema:

  • Peter Pfrunder: Schweizer Fotobücher 1927 bis heute. Eine andere Geschichte der Fotografie. Lars Müller Publishers, 576 Seiten, 75 Euro

    Ein drei Kilo schwerer Band, fast 600 Seiten, ein Ereignis für Kenner wie für interessierte Laien. Statt, wie lange üblich, eine an Originalen ausgerichtete Fotogeschichte zu erzählen, richtet „Schweizer Fotobücher“ das Augenmerk auf ein Medium, das für die Verbreitung und Überlieferung von Fotografie eine zentrale Rolle spielt. 70 Bücher werden vorgestellt - in perfekten Reproduktionen und, statt der üblichen Kurz-Steckbriefe, spannenden Essays von 22 Autoren. Keine ewige Hitliste, sondern relevante Autorenbücher, anhand derer sich die Konturen einer ‚anderen’Schweizer Fotogeschichte verfolgen lassen. Der Bogen spannt sich zwischen Jean Garberells „Schweizer Bildern“ (1927) und Jean Revillards „Jungles“ (2009), ein Foto-Essay über Flüchtlings-Behausungen vor den Toren der Festung Europa. Nur logisch, dass sich diese Geschichte nicht als eine herausragender Stars erzählt, sondern das Zusammenspiel zwischen Fotografen, Verlegern, Gestaltern und Druckern in den Blick nimmt – das alles vor dem Hintergrund eines Buchmarkts, der immer auch kommerziellen Spielregeln folgt. Analyse statt schnellem Coffetable-Genuss: „Wer Fotobücher verstehen will“ schreibt Herausgeber Peter Pfrunder, „muss sie lesen lernen“. Dieses Buch der Bücher hat das Zeug zum Standardwerk.  
  • Thomas Wiegand: Deutschland im Fotobuch. Steidl, 492 Seiten, 75 Euro

    Auch der Band „Deutschland im Fotobuch“ versteht sich nicht als Einkaufsliste für Sammler und solche, die es werden wollen. Es tauchen Titel auf, die weniger als drei Euro kosten, ebenso wie unerreichbare Schätze. Die Frage, die Thomas Wiegand antrieb, lautet stattdessen: Welche Fotobücher haben dieses Land auf besonders überzeugende und charakteristische Weise in den Fokus genommen? Das Spektrum reicht von Titeln aus den letzten Tagen des Kaiserreichs bis zum wiedervereinigten Deutschland; auch ein japanisches Buch mit Fotos von Enver Hirsch zum Thema ‚Gartenzwerge’ („The German Soul“) kann hier seinen Platz finden. Der Band versammelt 273 Werke, die mit Beispielseiten, einem kurzen Text und gerade für Sammler interessanten bibliografischen Daten vorgestellt werden. Gegliedert in Themenblöcke wie „Landschaften“, „Städte“, „Menschen“, oder „Typisch deutsch“ manifestieren sich historische Befindlichkeiten ebenso wie gestalterischer Zeitgeist. In jahrelanger Arbeit zusammengetragen, kommt „Deutschland im Fotobuch“ wie eine Ausstellung in Buchform daher. Was „typisch deutsch“ ist, wird man auch nach der Lektüre dieses anregenden Bands nicht abschließend erklären können.


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