Urheberrecht

Digital - illegal - ganz egal

24. November 2011
von Börsenblatt
Warum der Antrag der Grünen zu den Chancen des Internets indiskutabel ist. Von Ernst Piper, Literaturagent.

Die neue Fraktion der Piraten bringt mit orangefarbener Latzhose, Palästinensertuch und ums Handgelenk gewickelter Krawatte Farbe in den sonst eher grauen Alltag des Berliner Abgeordnetenhauses, und das gefällt vielen. Man sollte sich aber nicht durch buntes Tuch den Blick verstellen lassen und auch das Programm dieser 2006 gegründeten Partei lesen, denn da ist Schluss mit lustig. Im Kapitel über das Urheberrecht ist vom »sogenannten ›geistigen Eigentum‹ die Rede«. Kopierschutz ist unmoralisch, das kostenlose Kopieren soll explizit gefördert werden. Die »Rückführung von Werken in den öffentlichen Raum« sei nicht nur berechtigt, »sondern im Sinne der Nachhaltigkeit der menschlichen Schöpfungsfähigkeiten von essentieller Wichtigkeit«. Schöner ist der Vorgang des Plünderns wohl selten formuliert worden.

Die Piratenpartei trägt ihren Namen zu Recht. Und den Grünen ist angesichts des Berliner Wahl­erfolgs dieser digitalen Freibeuterbewegung offensichtlich ein gewaltiger Schreck in die Glieder gefahren. Auf ihrer Bundesdelegiertenkonferenz am kommenden Wochenende möchten sie »den digitalen Wandel grün gestalten«. Ein weiter Bogen wird im Leitantrag zu den Chancen des Internets geschlagen, vom arabischen Frühling über Zensur (da sind die Grünen dagegen) und Jugendschutz (den finden sie gut) bis hin zur digitalen Wissensgesellschaft. Das Urheberrecht soll reformiert und modernisiert werden, Ziel ist »ein fairer Ausgleich zwischen den Interessen der UrheberInnen und UserInnen, also aller im Internet Beteiligten«. Dieser Ausgleich soll offenbar nicht darin bestehen, dass die Nutzer für die urheberrechtlich geschützten Werke etwas bezahlen, vielmehr wird das massenhafte Raubkopieren als »unbegrenzte Vervielfältigungsmöglichkeit bestimmter Inhalte bei gleichbleibender Qualität« bejubelt.

Immerhin sprechen die Grünen nicht von sogenanntem geistigen Eigentum, solche Griffe in die unterste Schublade überlassen sie den Piraten. Aber auch sie sind von dem Wahn befallen, das Urheberrecht sei in erster Linie ein Hindernis auf dem Weg ins Paradies des unbegrenzten Wissens. In Wahrheit hatten noch nie so viele Menschen einen so guten Zugang zu so viel Wissen, Bildung und Unterhaltung wie heute. Dass es nicht noch mehr sind, hängt weiß Gott nicht mit dem Urheberrecht zusammen. Die Gründe sind vielmehr mangelnde Bildungschancen, daraus resultierender Analphabetismus, Armut, Zugangsbeschränkungen durch totalitäre Regime, ideologisch bedingte Abwehrhaltungen (zum Beispiel bei religiösen Fundamentalisten) und anderes mehr.

Statt die Position der Urheber zu stärken, streiten die Grünen für ein ominöses Recht auf Privatkopie und für die Wiederveräußerbarkeit von Immaterialgütern, das heißt in der Praxis den Weiterverkauf von E-Books. Außerdem, so lesen wir, sei es im Internet eben schwierig »fremde Urheberrechte zu beachten« – eine bemerkenswerte Kapitulationserklärung. Eine solche Haltung fördert nur den ohnehin weit verbreiteten Mangel an Unrechtsbewusstsein, der den vielen kostenfreien Angeboten im Netz geschuldet ist. Den Schriftstellern, bildenden Künstlern und Musikern erweist man mit einer solchen scheinbar freiheitlichen Haltung einen Bärendienst. Wenn man ihnen immer mehr die wirtschaftliche Basis für ihr Schaffen entzieht, dann wird es irgendwann nichts mehr geben, was man bei gleichbleibender Qualität unbegrenzt vervielfältigen kann.

Die parteinahe Stiftung der Grünen ist nach Heinrich Böll benannt. Böll war weder als Urheber noch als User ein »Betei­ligter im Internet«, dafür ein Schriftsteller von Weltrang, dessen Werk unverändert von großer Bedeutung ist. Die Partei, die seinen Namen benutzt, sollte sich seines Vermächtnisses als würdig erweisen.