Gastspiel

Bitte stören!

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Wirklich Neues kommt nicht durch Einzelleistungen in die Welt, sondern durch das Zusammenspiel vieler Menschen und ihrer Ideen. Von Dorothee Werner.

Die Branche befindet sich in einem umwälzenden Wandel und beginnt, die neue Lage für sich anzunehmen. Lange war der Diskurs darüber, was von Verlagen und Buchhandlungen bleiben wird, wenn die Digitalisierung erst alle Bereiche erfasst hat, eher von unsicherem Tasten bestimmt. Aber schon auf der letzten Herbstmesse war die Stimmung optimistischer als in den Jahren zuvor. Seither gibt es handfeste Diskussionen in den Medien und vor allem im Netz mit konkreten Vorschlägen, was wie zu gestalten sei. Diese neue Stimmung des Aufbruchs zeigt: Das richtige Klima für entscheidende Innovationen in der Buchbranche ist da.

Aber was verstehen wir unter Innovation? Geht es bloß darum, im Sinne evolutionärer Entwicklung Produkte zu optimieren? Etwa, wenn Bücher mit Audiokommentaren oder Videos ergänzt und zu Printversionen Apps entwickelt werden? Oder aber geht es darum, ganz Neues in die Welt zu bringen – geht es um eine Revolution? Einen Paradigmenwechsel, in dessen Folge neue Strukturen und Ordnungen gelten und alte Ordnungssysteme sich nicht mehr anwenden lassen?

Wenn ganze Branchen sich restrukturieren und neu gestalten, dann spricht man auch von disruptiven Innovationsprozessen. So war der Discman irgendwann an sein Ende gekommen, als er im Grunde nicht mehr zu verbessern war. Er, das MP3-Format und der MP3-Player brachten eine neue Ära des Musikhörens. Auch in der Buchbranche erleben wir das aktuell, wenn sich die Wertschöpfungskette stark verändert. Diese letzte Stufe von Innovation zu akzeptieren und fruchtbar zu machen, fällt schwer: Was man liebt, das will man nicht von Grund auf verändern. Und wir lieben Bücher – die es ohne Zweifel weiter geben wird.
Erneuerung geschieht. Sie zu- zulassen, sichert das Weiterleben. Dafür benötigen wir Innovationsmut. Der Leser und Nutzer entscheidet, welche Idee zu einer Innovation werden kann, zu einer Idee, die sich am Markt durchsetzt, welche Idee Relevanz hat.

Diese Art von Veränderungen gibt es im Grunde von dem Tag an, an dem Menschen angefangen haben, Ideen auszutauschen, um ihre Arbeitswerkzeuge zu verfeinern und ihre Lebenswirklichkeit zu erweitern. Dabei erwachsen Innovationen nie aus einer Wurzel allein, sondern wachsen in Form eines vielwurzligen Systems, das offen sein muss für fremde Einflüsse und sogar für Störungen. Verlagsberaterin Karen Heidl spricht von »digitaler Intelligenz«, die die Branche benötigt. Damit meint sie auch ein Einfühlen in die neue Welt, vielleicht auch eine neugierige Störungstoleranz.

Steven Johnson nennt in seinem Buch über die Frage, wo die guten Ideen herkommen, die zentralen Parameter für Innovation: Zeit, um Ideen reifen zu lassen; ein Klima, in dem Menschen mit Ideen verschiedener Art zusammenfinden können; und multiple Vernetzung. Hier lohnt es sich darüber nachzudenken, auch die Kunden aktiv an Innovations­prozessen teilhaben zu lassen. Innovation kann nie einer alleine machen. Nur durch das Zusammenspiel einzelner Akteure und ihrer Ideen kann etwas Neues wirklich wachsen.

Was kann eine Organisation wie der Börsenverein dazu beitragen? Sie kann ein innovationsfreudiges Klima unterstützen – Menschen zusammenbringen, Vernetzung animieren, Plattformen bieten, Wettbewerbe ausschreiben. Der Verband ist nicht Akteur, er kann vielleicht Provokateur sein. Und er muss sich selbst öffnen für die neuen Einflüsse. Mit Formaten wie der Zukunftskonferenz, Barcamps oder jetzt Prototype haben wir damit begonnen. Das Mitglied entscheidet letztlich, was es für seinen Erfolg benötigt.