Urheberrecht

Logik der semantischen Abschreckung

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Anstatt in rhetorische Grabenkämpfe zu verfallen wie nach der Schließung der Tauschplattform Megaupload sollten sich Urheber, Verwerter und Nutzer auf sozial wie wirtschaftlich verträgliche Urheberrechtsregeln verständigen, meint Börsenblatt-Redakteur Michael Roesler-Graichen.

Die geistigen Väter des Urheberrechts hätten es sich nicht träumen lassen, dass sich der Gedanke eines immateriellen Eigentumsrechts eines Tages – mit der Erfindung eines immateriellen, weil digitalen Informations- und Distributionsnetzes – verflüchtigen könnte. Schaut man sich Blogs, Foren oder Parteiversammlungen an (nicht nur der Piraten), so gewinnt man den Eindruck, es gebe nichts Lästigeres als "sogenanntes" geistiges Eigentum (der "geistigen Väter" hat man sich längst entledigt).

Doch wenn heute allen Ernstes die Stilllegung einer mutmaßlich kriminellen Download-Plattform der "Contentmafia" (O-Ton Piratenpartei) zugeschrieben wird, dann geraten Unterscheidungen ins Rutschen. Kriminell ist in der Regel nicht der, der Inhalte erzeugt und verwertet (solange er im Rahmen des Gesetzes bleibt). Denn das wäre so, als würde die Biologie das Wirtstier zum Parasiten stempeln, wo es doch die Mücke ist, die den Organismus des Tieres schwächt. Und worin liegt der fundamentale Unterschied, wenn One-Click-Hoster illegale Geschäfte mit dem Lebenssaft der Urheber, den kreativen Inhalten, machen?

Angesichts der Logik wechselseitiger semantischer Abschreckung, der jeder selbst gern einen Riegel vorschieben möchte, ist die Frage berechtigt: Wem nützen all diese rhetorischen Grabenkämpfe? Wird es nicht Zeit, gemeinsam über symbiotische Geschäftsmodelle, über sozial wie wirtschaftlich verträgliche Urheberrechtsregeln nachzudenken? Und könnte das Gerede von der fossilen Verlagsbranche, die nichts vom Desaster der Musikindustrie gelernt hätte, nicht endlich aufhören? Oder von den Content-Piraten, die bereits wesentlich weiter seien als die Verlage? Der Übergang vom Buch zum E-Book vollzieht sich nicht nach den gleichen Regeln wie der von der CD zum MP3-Download. Er ist hundertfach komplexer als die Reflexe, die bei Debattenteilnehmern ausgelöst werden, wenn das Reizwort "Urheberrecht" aufblinkt.