Kommentar

Urheberrecht ACTA und die gefühlten Mehrheiten

26. Februar 2015
von Börsenblatt
In der aktuellen Debatte um das Urheberrechts-Abkommen ACTA fehlen die Verlegerstimmen, meint Börsenblatt-Chefredakteur Torsten Casimir. Defensiv werde der Streit jedoch nicht gewonnen.

Erinnern Sie sich an den Begriff der "Schweigespirale"? Das war in den 70ern eine Idee von Elisabeth ­Noelle-Neumann. Die Meinungsforscherin hatte beobachtet, wie Menschen die Äußerung ihrer politischen Ansichten danach ausrichten, ob sie mehrheitsfähig sind. Wer glaubt, eine Minderheitenmeinung zu vertreten, hält den Mund. Entschieden wird auf der Basis gefühlter Demoskopie.

40 Jahre später nun das: Wer heute der politischen Ansicht ist, dass ein Urheber weiterhin und sogar im Internet das Recht behalten sollte, über die Verwendung seines Werkes selbst zu bestimmen, fürchtet, er gehöre einer sehr kleinen Minderheit an. Und schweigt. Das Pochen auf Urhebersouveränität ist zu einer peinlichen Position geworden, weil die Debatte bisher keine guten Vorschläge für die Durchsetzbarkeit dieses Rechts im Netz hervorbringt; und weil eine vermeintlich myriadengroße Netzgemeinde jeden, der am alten Recht festhält, mit wütender Kritik überzieht.

Auch Teile des bürgerlichen politischen Lagers haben sich aus der Argumentation verabschiedet. An die Stelle der Sachprüfung tritt ein Blick aufs Stimmungsbarometer, das Fürsprechern des Urheberrechts erhöhte Shitstorm-Gefahr anzeigt. In der politischen Währung bedeutet ein Shitstorm ja nicht bloß eine persönlich unerfreuliche Erfahrung, sondern drohenden Machtverlust infolge Liebes­entzugs.

Verlegerstimmen fehlen in der aktuellen Debatte um das Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) weithin. Defensiv wird der Streit, der einer Schlacht ähnelt, jedoch nicht gewonnen. Wortmeldungen der Branche könnten helfen. Jetzt wäre kein schlechter Moment, sich kommunikativ zu öffnen für Freiheits­ansprüche im Internet. Jetzt wäre es prima, von kreativen Geschäftsmodellen zu erzählen, die auf das Neue reagieren. Aber auch beharrliches Argumentieren wäre jetzt vonnöten, selbst wenn das gegen Netzaktivisten und ihre politischen Claqueure keine Freude ist.