Urheberrecht: ACTA

"Es müsste noch nachjustiert werden"

16. Februar 2012
von Börsenblatt
Die Proteste um ACTA bewegen nicht nur die Netzgemeinde, sondern auch die Politik. Ob das Antipiraterieabkommen ein zweckmäßiges Mittel zur Durchsetzung von Immaterialgütern im Netz ist, untersucht der Marburger Urheberrechtler Georgios Gounalakis. Und sieht manche Passagen kritisch.

Wenn ein multilaterales Handelsabkommen in den Fokus der öffentlichen Diskussion gerät, muss es hierfür einen besonderen Grund geben. Dies gilt umso mehr, wenn es sich um einen Vertragstext handelt, dessen Regelungen sich in ein komplexes System bereits bestehender völkerrechtlicher Verträge, etwa in das „Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte am geistigen Eigentum“ (TRIPS), sowie in zahlreiche nationale und europäische Regelwerke einfügen sollen.

Und so wäre auch das Anti-Counterfeiting Trade Agreement, kurz ACTA, wohl kaum auf größeres öffentliches Interesse gestoßen, wenn es sich nicht um ein Abkommen zur Bekämpfung der Produkt- und Markenpiraterie handelte, das umfangreiche Bestimmungen zur Verbesserung der zivilrechtlichen, aber auch strafrechtlichen Durchsetzung von Immaterialgüterrechten enthält. Nun sind Seeräuber schon lange international geächtet; auch werden unlizenzierte Hersteller von Mode- und Konsumartikeln  jedenfalls in der westlichen Öffentlichkeit als Produktpiraten nicht gerade mit Sympathiebekundungen überschüttet. Warum also soviel Aufregung um ein Abkommen, mit dem internationale Standards im Kampf gegen Produktpiraterie und Urheberrechtsverletzungen etabliert werden sollen?

Als Erklärung hierfür reicht es sicher nicht aus, dass es durchaus fraglich ist, ob infolge von ACTA nicht Änderungen am europäischen und nationalen Recht vorgenommen werden müssten. Dies wird von der Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) und den zuständigen EU Organen zwar verneint, gewichtige Stimmen in der juristischen Wissenschaft sehen dies jedoch anders. Zu kurz gegriffen wäre es ebenfalls, Verschwörungstheoretiker der Internetgemeinde für den medialen Hype der vergangenen Wochen verantwortlich zu machen, auch wenn die Europäische Union selbst dieses Lager durch ihre manchmal etwas skurril wirkenden Entscheidungswege sicherlich verstärkt hat. Aber dass am 16. Dezember letzten Jahres über ACTA in einer nicht-öffentlichen Sitzung des Agrar- und Fischereirates der Europäischen Union abgestimmt wurde, wäre wohl kaum mehr als eine humoristische Randnotiz geblieben, wenn es nicht im Kern um eine ernste Frage ginge: Kann die Meinungs- und Informationsfreiheit im Internet durch das Immaterialgüterrecht beschnitten werden?

Auf den ersten Blick erscheint diese Überlegung etwas weit hergeholt. ACTA soll nur die Durchsetzung bereits bestehender Immaterialgüterrechte erleichtern und keine weiteren Rechte gewähren. Und der Schutz dieser Rechte muss – auch das leuchtet jedem ein - in einer analogen Welt genauso gewährleistet sein, wie in einer digitalen. In der digitalen Welt des Internet prallen aber die kommerziellen Interessen der Inhaber von Immaterialgüterrechten und die elementaren Grundrechte der Meinungs- und Informationsfreiheit in einer Art und Weise aufeinander, wie es in der rein analogen Welt in diesem Ausmaß nicht der Fall ist.

Das Internet, das Anonymität und den ungehinderten Fluss von Informationen verspricht, ist ein „Mitmachmedium“: In der Praxis weitgehend frei von staatlicher Kontrolle kann das Netz zum Hort bürgerlicher Freiheiten werden, wie wir es im arabischen Frühling gesehen haben. Es kann aber auch andererseits dazu dienen, aus dem digitalen Nebel heraus die Rechte anderer zu verletzen.

Um im Bereich des Immaterialgüterrechts dieses Problems Herr zu werden, sollen deshalb die Unterzeichnerstaaten nach Artikel 27 ACTA dafür Sorge tragen, dass wirksam gegen jede Verletzung „geistigen Eigentums“ im digitalen Umfeld vorgegangen werden kann. Dies ist in der Praxis aber gar nicht so einfach, weil die Inhaber von Immaterialgüterrechten oft gar nicht ermitteln können, wer denn nun ihre Rechte verletzt hat. Zwar existiert etwa im deutschen Urheberrecht ein Auskunftsanspruch. Jedoch läuft dieser nach dem Wegfall der Vorratsdatenspeicherung häufig leer. Die Provider verfügen in der Regel schlichtweg nicht mehr über die relevanten Daten. Ob aber die Provider verpflichtet werden können, Daten zu sammeln, die sie selbst nicht benötigen, um zivilrechtliche Ansprüche Dritter zu sichern, erscheint nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Entscheidung des BVerfG zur Vorratsdatenspeicherung fraglich. Auch der Versuch der Rechteinhaber, die Provider im Rahmen des technisch Möglichen und Zumutbaren selbst verantwortlich zu machen, war bisher, jedenfalls solange sie nicht grob fahrlässig ihre Augen vor Rechtsverletzungen verschlossen haben, in Deutschland nicht von Erfolg gekrönt.

Ob dieser Rechtszustand mit den durch ACTA verschärften Anforderungen an die Rechtsdurchsetzung übereinstimmt, kann freilich bezweifelt werden. Die Gegner von ACTA äußern daher die begründete Besorgnis, dass die Provider künftig eine zivilrechtliche oder gar strafrechtliche Haftung fürchten müssen und daher zur Selbstzensur übergehen werden. Die Selbstzensur wäre tatsächlich eine Katastrophe für die Meinungs- und Informationsfreiheit. Denn es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Provider technisch und wirtschaftlich dazu in der Lage wären, in jedem Einzelfall zu prüfen, ob eine Immaterialgüterrechtsverletzung vorliegt oder ob es sich um eine zulässige, eine Meinung befördernde Verwendung „geistigen Eigentums“ handelt. Vielmehr stünde zu befürchten, dass die Provider, um möglichen Haftungsansprüchen vorzubeugen, nach dem Rasenmäherprinzip vorgehen und „in dubio contra libertatem“ entscheiden.

Fraglich ist freilich, wie realistisch diese Gefahr ist. Immerhin sieht Artikel 27 Absatz 2 Satz 2 ACTA vor, dass Grundsätze wie freie Meinungsäußerung, faires Gerichtsverfahren und Schutz der Privatsphäre bei der Anwendung der Verfahren zur Durchsetzung der Immaterialgüterrechte im Internet beachtet werden müssen. Gewiss eine rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit! Bei einer derartig schwammigen Formulierung tröstet es indes kaum, wenn in einer Fußnote klargestellt wird, dass diese Grundsätze beispielsweise die Annahme oder Aufrechterhaltung einer Regelung zur Beschränkung der Haftung von Internet-Diensteanbietern oder der Rechtsbehelfe gegen Internet-Diensteanbieter mit umfassen.

Problematisch bleibt die Regelung vor allem auch deshalb, weil es sich um ein globales Problem handelt und ein derartiger Haftungsausschluss für Provider sicher nicht in jedem Vertragsstaat zur Geltung kommen wird. Daher dürfte es sich um mehr als eine nur theoretische Gefahr handeln: Wird ein Provider auch nur in einem Unterzeichnerstaat haftbar gemacht, könnte dies eine Kettenreaktion auslösen, die zu einer Selbstzensur anderer Provider führt. Letztlich wäre ACTA dann für eine mittelbare staatliche Zensur verantwortlich! Aber zugegeben: Die hier beschriebene Gefahr ist nicht sehr groß. Aber ist sie auch so gering, dass Artikel 27 ACTA einfach hingenommen werden kann? Wenn nicht, müsste hier und auch an anderen Stellen, wie gewichtige Stimmen in der Rechtswissenschaft fordern, noch einmal nachjustiert werden.

Georgios Gounalakis ist Professor für Urheber- und Medienrecht an der Philipps-Universität Marburg.