Tranzyt

Wie tickt Europas Osten?

16. März 2012
von Börsenblatt
Polen, Weißrussland und Ukraine: auf der Leipziger Messe stellen sich bekannte und hierzulande noch unbekannte Stimmen aus Osteuropa vor.
Vor allem die belarussische Literatur ist in Deutschland kaum bekannt. Die Anzahl der jährlichen Neuübersetzungen lässt sich leicht an einer Hand abzählen. Besser hat es da Polen: 30 bis 40 Titel werden im Durchschnitt jährlich ins Deutsche übersetzt, Autoren wie Andrzej Stasiuk und Olga Tokarczuk gelten als etablierte Größen auch des hiesigen Literaturbetriebs.

Fokus Belarus
Auf den Fokus-Veranstaltungen in Halle 4 konnte das Lesepublikum sich einen Eindruck verschaffen, wie die Stimmen der Autoren aus Europas Osten klingen: Am Donnerstagabend stellten sich im Fokus Belarus im Forum OstSüdOst zwei besonders interessante Stimmen Weißrusslands vor: Zmicier Vishniou, dessen Roman "Das Brennesselhaus" im Herbst dieses Jahres bei Luxbooks erscheinen wird, und Volha Hapejeva (1982) lasen aus ihren Gedichten.

Vishniou gilt als eine der prägenden Stimmen der belarussischen Gegenwartsliteratur. 2008 war er Gast in der Villa Decius in Krakau, auch in Berlin war er als Stipendiat unterwegs. In seiner Heimat gründete er vor wenigen Jahren außerdem einen eigenen Verlag. Seine Lyrik ist experimentell und oft komisch: "Vishniou sieht mit den Ohren und hört mit den Augen", analysierte ihn ein Kollege einmal, wie Übersetzer Thomas Weiler zu zitieren wusste.

"Meine Lyrik wird immer nachdenklicher", analysierte sich hingegen Volha Hapejeva. Trotzdem sei die belarussische Lyrik insgesamt viel "expressiver" als sie es von Deutschen Kollegen kenne. In Weißrussland trage man ein Gedicht nicht so lange mit sich herum, sondern schreibe es schneller nieder.

Mit der lautstarken Intonation eines lautmalerischen Gedichts gelang Vishniou das, was als Zielsetzung der Veranstaltung sowie des Tranzytprogramms gelten muss: "Nachhaltig Aufmerksamkeit auf die osteuropäische Literatur zu lenken": Staunend blieben um das Forum OstSüdOst für fünf magische Minuten die passierenden Messebesucher stehen - und lauschten.

Fokus Polen
Andrzej Stasiuk und Joanna Bator waren am Freitagabend zu Gast im Forum OstSüdOst. In Stasiuks Roman "Hinter der Blechwand“ gibt es ein Wiedersehen mit den in die Jahre gekommenen Helden aus der "Weiße Rabe" Pawel und Waldek. Thema des Buches ist der Untergang dessen, was einmal Südosteuropa war.

Bator stellte ihren Roman "Sandberg", vor, der vor allem in den 70er und 80er Jahren spielt.

"Es ist so, als hätte ich in meinem Kopf ein ganzes Arsenal an Gegenständen und Artefakten aus der Volksrepublik", erklärte die polnsiche Autorin die Detailverliebt ihres Romans. Bator ist Anthropologin. Vielleicht sei sie Anthropologin geworden, weil sie sich Sprachen und die Sprachen der Dinge gut merken könne, meint sie selbst.

Beide Suhrkamp-Autoren machten im Gegensatz zu ihren belarussischen Kollegen eher einen ruhigen, nachdenklichen Eindruck. Dafür war der Andrang umso größer. Mitten in der Lesung aus Stasiuks Text platzte dann die Durchsage, dass die Halle schließt. Beeindrucken ließ das Podium sich davon aber nicht – auch die Zuschauer hörten sich die Lesung geduldig an und ließen sich ihre frisch erworbenen Bücher signieren.