Diskussionsrunde

ACTA-Panik in Europa – berechtigt oder übertrieben?

17. März 2012
von Börsenblatt
Eigentlich haben es alle satt: Das Schwarz-Weiß-Denken, die Shit Storms und Schlammschlachten zum Thema ACTA. Was bleibt, wenn die Rauchwolken abgezogen sind? Ergebnisse einer Diskussionsrunde des Börsenvereins auf der Leipziger Buchmesse.

Die Fronten zwischen ACTA-Befürwortern und Gegnern sind verhärtet. "Sprechen wir überhaupt noch die gleiche Sprache?" fragt sich Verleger Dietrich zu Klampen. Den meisten Leuten scheint heute gar nicht mehr klar zu sein, wie wichtig es für Autoren ist, einen Verlag zu haben. Stattdessen nehme die Diskussion im Netz Formen an, die jeder Sachlichkeit entbehren. "Wenn behauptet wird, dass Urheberrechtsverletzer schärfer bestraft wird als ein Kinderschänder, dann steige ich aus", sagt zu Klampen.

"Die Diskussion im Netz ist an Zynismus, Unverschämtheit und Ignoranz nicht mehr zu überbieten", meint auch Heike Rost, die als Journalistin und Fotografin arbeitet. "Da werden Urheber im Internet aufgefordert, etwas Anständiges zu arbeiten, wenn sie Honorare erhalten wolle. Und wenn die Nutzer nicht bezahlen, dann sollen die Kreativen eben von Harz IV leben." Erst kürzlich bekam sie zu hören, Fotografie sei nichts weiter als die fotomechanische Kopie der Realität. Dafür könne man doch kein Geld erwarten. Bei einer derart dreisten Argumentation sei bei ihr Schluss mit lustig.

Missverständisse und Mythen

Eine wichtige Feststellung in der Runde: Es ist weniger der Inhalt von ACTA, der die Gegner in Rage bringt, sondern die Vorstellung davon, wie ACTA instrumentalisiert werden könnte. Und dort, wo man der Phantasie freien Lauf lassen kann, entstehen leicht Missverständnisse. Eins davon geht so: Die armen Autoren sind mächtigen Konzernen, der “Content Mafia“ ausgeliefert, die sie für einen Hungerlohn schuften lassen. "Ja, solche Missstände gibt es“, meint zu Klampen. "Gegen solche Konditionen vorzugehen ist wichtig, da muss man aufstehen und was machen, das ist eine Sache für die Gewerkschaft." Aber: Das sei nicht der Grund, das Urheberrecht abzuschaffen. "Ich sage als Anwalt der Autoren: Wenn Autoren jahrelang an einem Buch arbeiten, wenn Verlage ein Manuskript verbessern, warum sollen sie nicht gerecht bezahlt werden?" Gegen die Missbrauchsfälle bei der Bezahlung der Autoren vorzugehen, stehe auf einem ganz anderen Blatt.

Enno Lenze, Mitglied der Piratenpartei, war als Doppelagent in der Runde präsent: Er ist Mitglied der Piratenpartei und gleichzeitig Verleger. Als er eine kleine Geschichte aus seinem Verlagsleben erzählt, wird deutlich, wie schwer die beiden Rollen miteinander zu vereinbaren sind: Als Pirat verficht er das Recht auf die Privatkopie – selbst wenn der Nutzer nicht weiß, ob ein Download nun aus einer legalen Quelle stammt oder nicht. Als Verleger, so erzählt er, griff er selbst zum Telefon, als er Inhalte seines Verlags auf einer fremden Seite entdeckte. "Ich hätte schriftlich abmahnen können. Aber mit einem Anruf war´s auch getan", stellt er heraus. "Aber wie wäre es", wirft Moderator Torsten Casimir (Chefredakteur Börsenblatt) ein, “wenn nicht nur dieses eine Mal, sondern ganz oft 'Privatkopien' gezogen werden?" Die Geschäftsgrundlage gerät dann ins Wanken – auch bei Piratenverlegern.  

Und, ja, auch ein Piratenmitglied muss so manchen Shit Storm, also eine massive Beleidigungswelle im Netz, über sich ergehen lassen. Lenze ("Ich bin da reingewachsen") empfiehlt: Legen Sie sich eine Filterfunktion zu. Kommentare von Leuten, die man nicht kennt, sollte man einfach ignorieren. Auf keinen Fall zurückbellen, sondern sachlich argumentieren. Ansonsten gelte, möglichst viele Leute in der Szene zu kennen. "Denn wen man persönlich kennt, beleidigt man nicht so schnell."