Interview mit Jörg Meyer

"Die Bibliotheken sind nicht der Feind der Verlage"

29. März 2012
von Börsenblatt
ekz und DiViBib-Geschäftsführer Jörg Meyer äußert sich im Interview zur Entwicklung und Verbesserungsmöglichkeiten der Onleihe der öffentlichen Bibliotheken und zur Konkurrenz durch Flatratemodelle von kommerziellen Anbietern.

Zunächst wurde die "Onleihe" von einigen Marktteilnehmern als nicht durchführbar belächelt - heute hat sich die Situation grundlegend geändert. Wie stark ist die DiViBib aufgestellt?  Wie groß ist die Konkurrenz durch andere Verleihsysteme?
Für die öffentlichen Bibliotheken bieten wir derzeit sicher die beste Lösung, um bei der digitalen Entwicklung im E-Book-Bereich mitzuhalten. 400 Bibliotheken nehmen derzeit an der Onleihe teil, rund zwei Millionen Downloads wurden 2011 verzeichnet. Die Bedrohung durch andere große Player ist evident. Wie jetzt auch die Einführung von Skoobe.de zeigt, wird der deutsche Markt hierfür immer interessanter. Wann dann die Player aus den USA folgen, ist noch offen. Man darf aber nicht vergessen, dass Bibliotheken kein kommerzielles Interesse haben. Amazon will mit den Angeboten Geld verdienen, Bibliotheken wollen den Nutzern in ihrem kommunalen Umfeld einen Zugang zu Information bieten. Stark aufstellen können sich die Bibliotheken und die Onleihe, wenn es ein breites Angebot an Medien gibt.

Wie gefährlich können kommerzielle Flatrate- oder Subscriptionsmodelle für die Onleihe werden?

Das ist natürlich schwer abzuschätzen, da diese Modelle erst sehr jung im Markt sind. Interessant war hierzu ein Artikel vom 20. März aus "Spiegel Online". Da wurde das Skoobe Angebot mit dem Angebot der Hamburger Bücherhallen (ein Onleihe Kunde) verglichen. Insgesamt haben die Bücherhallen sehr gut dabei abgeschnitten. Der Vergleich ist sicherlich problematisch. Denn die Bücherhallen haben mit ihrem begrenzten Medienetat nur einen Ausschnitt unseres Angebotes angeschafft. Dennoch wurden sie für Ihr breites Themenspektrum gelobt. Das macht uns stolz und zeigt wie wichtig die Funktion der Bibliotheken ist, aus einem breiten Angebot einen repräsentativen und qualitativ hochwertigen Querschnitt zu selektieren und anzubieten. Aber ich möchte an dieser Stelle nochmals betonen: Die Bibliotheken sind nicht der Feind der Verlage und deren Vertriebsmodelle. Bibliotheken haben eine kommunale kultur- und sozialpolitische Aufgabe und befördern mit ihrem Angebot das Leseverhalten der Menschen. Auch in der digitalen Welt. Bitte bedenken Sie, dass der stationäre Buchhandel und Bibliotheken seit langer Zeit im regionalen Kontext gut miteinander auskommen und dass die Bibliotheken trotz Video/DVD Verleih, Netflix und sonstigen Angeboten immer noch DVDs an ihre Nutzer ausleihen. Koexistenz funktioniert.

Durch die Lizenzregelungen werden die Buchhandlungen beim Erwerb des digitalen Contents faktisch ausgeschlossen. Das sorgt für Unmut im Sortiment. Wie muss ein künftiges Lizenzrecht aussehen, das alle Marktteilnehmer zufriedenstellt: Die zögerlichen Verlage, die Dienstleister, die Bibliotheken vor Ort und den Handel?
Die ekz als Muttergesellschaft ist ebenfalls Buchhändler. Zwar nicht stationär tätig, aber Versandbuchhändler. Wir haben mit den Verlagen seit 2006 Rahmenverträge verhandelt und das Modell immer wieder erläutert. Im Vergleich zum stationären Sortiment haben wir den Vorteil, dass wir ausschließlich auf die Kundengruppe der öffenlichen Bibliotheken seit 65 Jahren spezialisiert sind. In diesem Zusammenhang sind wir auf hohes Verständnis bei den Verlagen gestoßen, um als sogenannter Aggregator die Lizenzen für unsere spezifische Kundengruppe zu verhandeln. Grundsätzlich, so glaube ich, wurde im Rahmen der Verhandlungen zum zweiten Korb des Urheberrechtes versäumt, die Rolle der Bibliotheken zu berücksichtigen. Hätte man es damals zugelassen, dass Bibliotheken wie in der physische Welt das Recht erhalten sich ein sogenanntes "Belegexemplar" zu erwerben und pro Belegexemplar zeitgleich nur eine Nutzung zuzulassen, so wären heute alles stationären Buchhandlungen in der Lage, E-Books unter diesen Nutzungsbedingungen den Bibliotheken zu verkaufen. In Bezug auf die ekz/DiViBib sehen wir nach kritischen und verständlichen Fragen der Verlage zu Beginn der E-Book-Zeit eher keine Probleme.

Glauben Sie, dass ein hartes DRM auf Dauer von den Nutzern akzeptiert wird?
Die DRM Frage ist sicher sehr wichtig, bzw. kritisch. Unsere Kunden fragen nach anderen Modellen. Entscheidend ist hier das Verhalten der Verlage. Wir können deren Position absolut nachvollziehen, dass es ein gesichertes und nachhaltiges Businessmodell für die Lizenzgeber und Autoren geben muss. Multi User Purchase Optiones (MUPO) können sich nur rechnen, wenn das Paket aus Titeln mit einem entsprechenden Querschnitt von Topsellern und normalen Titeln zusammengestellt ist und einen entsprechenden Preis hat. Solange wir dieses Hürde nicht umschiffen, sehe ich kaum andere Alternativen. Ich bin von Bibliotheksseite in Kenntnis gesetzt, dass der dbv mit dem Börsenverein zu unterschiedlichen Nutzungsmodellen reden möchte. Von Seiten des Börsenvereins habe ich keine Kenntnis über den Inhalt der Gespräche. Auch hätte ich es für sinnvoll erachtet, dass die ekz / DiViBib auf Grund ihrer Erfahrungen der letzten fünf Jahre in den Verhandlungen mit den Verlagen und Bibliotheken sinnvolle Hinweise hätten geben können. Wir wurden bisher nicht angefragt. Aber vielleicht kommt das ja noch.

Welche Chancen bietet die Onleihe für die Bildungsgesellschaft? Wie kann eine Bibliothek ihren Service attraktiver gestalten?
Viele Bibliotheken entwickeln ihren digitalen Bestand unter kommunalen Gesichtspunkten und gewählten Schwerpunkten. Beispielsweise Bibliotheken, die enge Kooperationen im schulischen Bereich pflegen, legen im Bestandsmanagement eine Schwerpunkt auf Lernhilfen etc. Das neue Medium macht die Nutzung der Bibliothek für die Schüler attraktiv. Ich darf gerne an dieser Stelle aus dem aktuellen börsenblatt Spezial Kinder- und Jungendbuch 2012, S. 18 zitieren; Florian (18) Jugendleseclub Beckum:"... Super finde ich die Onleihe der Bibliotheken." Dies ist ein tolles Beispiel, wie die lokale Arbeit der Bibliothek Zielgruppen gewinnt, die auf Grund ihres Alters und ihres Mediennutzungsverhaltens eher keine Bibliothek attraktiv finden. Diese Bibliotheksnutzer werden sicher auch zu guten E-Book-Käufern.

Wo stehen die Bibliotheken jetzt und was muss in der nahen Zukunft besser werden? So bereiten etwa PDF-Dateien beim Lesen Probleme ...
Manchmal sind es technische Probleme, manchmal behindern uns auch restriktive Nutzungsrechte: In beiden Fällen versuchen wir einen besseren Service zu entwickeln und den Bibliotheken und deren Nutzern zu bieten. Konkret zum Thema PDF auf Tablets sind uns allerdings die Hände gebunden. Damit Medien auf Tablets oder E-Readern halbwegs komfortabel zu lesen sind, benötiget man E-Pub-Formate. Dies hat etwas mit der Formatierung auf unterschiedliche Bildschirmgrößen zu tun. Eine FAZ in PDF auf einem Smartphone würde ich persönlich nie lesen wollen.

Bibliothekare stehen nicht im Ruf, digitale Gipfelstürmer zu sein. Wie wichtig sind Fortbildungen für Bibliotheken?
Extrem wichtig. Im Februar fand in Stuttgart mit 260 Bibliothekaren die Veranstaltung "Chancen 2012"  statt. Ein Themenforum war die Personalenwicklung in Hinblick auf die sich beschleunigende Digitalisierung. Dort sind gute Ansätze erarbeitet worden, welche im Rahmen des Bibliothekartages in Hamburg dieses Jahr weiter vertieft werden müssen. Die Berufsverbände sind für dieses Thema sensibilisiert.