Urheberrecht

"Kafkaesker Datenkrimi"

29. März 2012
von Börsenblatt
Der Heidelberger Literaturwissenschaftler Roland Reuß und der Stroemfeld Verlag kämpfen gegen Raubkopien auf Amazons Marketplace - und erstatten Strafanzeige.

Nabu Press, ein Print-on-Demand-Dienstleister aus den USA, bietet Kafka-Bände an, die über Amazons deutschen Marketplace gehandelt werden.

Daran wäre nichts auszusetzen - wenn die Titel nicht historisch-kritische und damit nach wie vor geschützte Ausgaben wären. Im Original sind sie im Rahmen eines aufwendigen Editionsprojekts bei Stroemfeld  erschienen. Über den Umweg Raubkopie werden sie nun, wenn auch als vermutlich schlechter Scan, für ein Zehntel des gebundenen Ladenspreises offeriert, unter anderem von der Amazon-Tochter the_book_depository_uk. Verlagsangabe: "unkown".

Roland Reuß, Herausgeber der Edition und Professor für neuere  deutsche Literaturwissenschaft in Heidelberg, hat deshalb gestern gemeinsam mit seinem Verlag bei der Frankfurter Staatsanwaltschaft Strafanzeige gegen Amazon erstattet - exemplarisch, wie er betont: "Mir geht es nicht primär darum, einen Rechtsstreit zu gewinnen. Sondern darum, Öffentlichkeit für die Probleme zu schaffen, die sich aus globalen Distributionswegen ergeben". Seriöse Anbieter lieferten über ihre Plattformen "den Nährboden für kriminelle Machenschaften", so Reuß, auch bei anderen Urheberrechtsthemen wie Open Access ein streitbarer Geist.

"Wir wählen den Weg einer Strafanzeige gegen den Vertreiber der Werke, weil es uns als kleiner Verlag unmöglich ist, international gegen diese Form der Enteignung geistigen Eigentums vorzugehen", heißt es in der Stroemfeld-Begründung zur Strafanzeige, die auch gegen die Amazon-Tochter Abebooks und einen weiteren kleineren Anbieter aus München gerichtet ist.

Hinter dem Kafka-Fall scheint sich ein urheberrechtlicher Datenkrimi zu verbergen. Reuß vermutet, dass die betreffenden Dateien Scans aus dem Google Book Search Programm an US-Bibliotheken sind. Bücher europäischer Verlage mussten zwar wieder aus dem Digitalisierungsprojekt herausgenommen werden, Scans zirkulieren jetzt aber offenbar im Netz, wie Börsenvereinsjustiziar Christian Sprang bestätigt: "In dem Maße, wie die technischen Möglichkeiten wachsen, müsste eigentlich auch die Sorgfalt weltweiter Akteure wie Amazon zunehmen. Leider ist das nicht gegeben".

Amazon.de teilte auf Börsenblatt-Anfrage mit, dass es dem Unternehmen grundsätzlich ein "wichtiges Anliegen" sei, Rechtsverletzungen auf der Website "möglichst schnell und effektiv zu unterbinden". Christine Höger, Leiterin Public Relations, verweist auf ein Mitteilungsformular über die Verletzung gewerblicher Schutzrechte, das online bereitstehe und per Fax oder Mail eingereicht werden könne.

Roland Reuß betont dagegen, dass er und der Stroemfeld Verlag ganz bewusst die Staatsanwaltschaft eingeschaltet hätten, weil sie den Vorgang eben nicht für ein privatrechtliches Problem zwischen zwei Firmen halten würden. Es könne nicht Sache der Autoren und Verlage sein, den fahrlässigen Umgang mit den Produkten anderer im Nachhinein zu korrigieren: "Das muss Amazon schon selbst hinbekommen." Zumal sich natürlich auch die Frage stelle, wieviele Exemplare bis zur möglichen Löschung eines Datensatzes bereits über Amazon und Abebooks verkauft worden seien - und wie groß damit in solchen Fällen der entstandene Schaden für den Verlag und seine Autoren sei. "Wir wünschen uns jetzt einen couragierten Staatsanwalt", so Reuß.

Auch die FAZ greift das Thema heute im Feuilleton auf: Die "Kafka-Räuberei" sei leider kein Einzelfall, sondern stehe exemplarisch für den Umgang mit geistiger Leistung im Netz, schreibt Felicitas von Lovenberg: "Die schiere Masse der selbstverständlich gewordenen Verstöße gegen das Urheberrecht, die jeden Tag weiter zunimmt, macht das Unterfangen, gegen Verantwortliche effektiv vorzugehen, zu einer Sisyphosaufgabe, vor der der einzelne Verlag nur kapitulieren kann."

Die Titel

Die Raubkopien sind zwei Bände aus der Franz-Kafka-Edition »Historisch-kritische Ausgabe sämtlicher Handschriften, Drucke und Typoskripte«, im Frankfurter Stroemfeld Verlag herausgegeben von Roland Reuß und Peter Staengle. Originalpreis: 128 Euro

  • Oxforder Oktavhefte 1 + 2, Stroemfeld, 2006 (Marketplace auf Amazon.de: neu ab 18,17 Euro, gebraucht ab 14,58 Euro)
  • Oxforder Quartheft 17, Stroemfeld, 2003 (Marketplace auf Amazon.de: neu ab 12,15 Euro, gebraucht ab 9,64 Euro).