E-Book-Leihmodelle

Chance zur Marktausweitung oder Wertverlust?

29. März 2012
von Börsenblatt
Ist der kommerzielle Verleih von E-Books ein tragfähiges Geschäftsmodell? Können Flatrate-Modelle den Markt erweitern? Oder unterminieren sie das Preisbewusstsein? Boersenblatt.net hat dazu den Branchenberater Ehrhardt F. Heinold, die Pricing-Expertin Annette Ehrhardt und den Unternehmensberater Marco Olavarria befragt.

Ehrhardt F. Heinold, Heinold, Spiller & Partner, Hamburg

"Für den Leser elektronischer Medien ist der Zugang wichtiger als der Besitz. Der Besitz einer digitalen Enzyklopädie beispielsweise verschafft heutzutage kaum einem Käufer einen Reputationsvorsprung mehr wie in der physischen Buchwelt. Beim E-Book ist die Nutzung entscheidend. Ein gekauftes E-Book kann zudem nicht in der Weise weiterverwertet werden wie ein physisches Buch. Beim Download erwirbt der Kunde nur eine Lizenz; der Verkauf an Dritte und die Verwertung im Gebrauchtbuchmarkt sind demnach ausgeschlossen.

Kommerzielle E-Book-Leihe oder Flatrate-Modelle bieten aber die Chance zu einer echten Marktausweitung. Man kann damit eine große Zahl an Viellesern, die Bücher eher in Bibliotheken entleihen, kopieren oder im Gebrauchtbuchhandel erwerben, zu Kunden machen und an sich binden. Von Studenten wissen man beispielsweise, dass eine wachsende Zahl keine neuen Lehrbücher mehr kauft. Der überwiegende Teil greife auf andere Ressourcen zurück. Für Gelegenheitskäufer hingegen ist unterm Strich vermutlich das einzeln gekaufte E-Book wichtiger."

Annette Ehrhardt, Simon-Kucher & Partners, Zürich

"Ich frage mich, ob es sinnvoll ist, bereits in einem frühen Stadium des noch jungen E-Book-Markts Flatrates anzubieten. Dadurch wird die Wertewahrnehmung von E-Books, die im Vergleich zu gedruckten Büchern ohnehin schon schwächer ausgeprägt ist, weiter abgesenkt. Beim Kunden kommt das als Botschaft an »Das einzelne Buch ist weniger wert«.

Ein Verlag muss sich zudem die Frage stellen, ob er durch ein solches Modell genügend neue Kunden gewinnt und auf Dauer genug Geld erlöst. Statt auf eine globale Flatrate zu setzen, die zu einer Abwärtsspirale beim Pricing führen würde, ist ein begrenztes Leihmodell, wie Skoobe dies vorsieht, sinnvoller. Skoobe bietet zwar im ersten Jahr den ersten 10.000 Kunden den unbegrenzten Zugriff auf sein Angebot – wobei immer nur fünf Titel gleichzeitig ausgeliehen werden dürfen –, ab März 2013 sind es dann aber nur noch zwei E-Books pro Monat.

Ich sehe die E-Book-Leihe als zusätzliches Geschäftsmodell, das neben den traditionellen Einzelverkauf tritt. Um das Kauf-E-Book aufzuwerten, würde ich als Verleger eine Wertdifferenzierung vornehmen. Der Käufer müsste mit dem Buch wesentlich mehr anfangen dürfen als mit dem geliehenen – es beispielsweise an Freunde verleihen, mit Anmerkungen versehen oder ausdrucken."

 

Marco Olavarria, Kirchner & Robrecht Management Consultants

Könnte die kommerzielle E-Book-Leihe à la Skoobe oder PaperC ein kundenfreundlicheres Erlösmodell sein?
Ja, für einige Zielgruppen sicherlich. Insbesondere natürlich für Vielleser, die ihrem Hobby mit einer Flatrate ausgiebig frönen können. Neben der – allerdings nur bei intensiver Nutzung günstigeren Kosten je Stück – liegt der Vorteil dieses Modells in der Kalkulierbarkeit der Kosten. Dies entlastet den Kunden, da nach Abschluss der Flatrate das Abwägen des Preis-/Leistungsverhältnisses für den Einzelkauf entfällt.

Hat das Modell Zukunft, weil es brachliegende Potenziale im Markt erschließen kann?
Ich denke schon, dass es Potenziale erschließen kann. Die Frage ist nur, wie groß diese Potenziale sind und in welchen Zielgruppen sie stecken. Ist das Modell ausschließlich für die Vielleser attraktiv? Gibt es Unterschiede je nach Genre? Oder entwickelt sich hier vielleicht auch ein Geschenkemarkt wie bei Abonnements von Zeitschriften?

In jedem Fall ist die Kundenbeziehung ein wichtiges Potenzial. Anders als beim anonymen Einzelkauf besteht in diesem Modell eine auf Dauer angelegte Kundenbeziehung. Der Anbieter verfügt über die Kundendaten und kann die Vorlieben der Kunden erfassen. Hier ergeben sich dann gegebenenfalls Ansatzpunkte für das Angebot weiterer Produkte oder Services.

Könnte der Marktanteil von Miet- oder Flatrate-Modellen im Geschäft mit digitalen Inhalten wesentlich größer sein als in der Printwelt?
Das kommt darauf an, welche Gattung Sie zu Grunde legen. Regionale Tageszeitungen kommen auf Aboquoten von deutlich über 90 Prozent, einen solchen Anteil werden diese Modelle wohl eher nicht erreichen. Bei Zeitschriften liegt die Aboquote häufig bei um die 40 bis 50 Prozent. Ob dies erreichbar ist, kann ich heute nicht einschätzen, ist aber nicht auszuschließen. Dann immerhin können 40 Prozent der Buchkäufer als "Ausleihende Vielleser" und 8 Prozent als "Kauffreudige Vielleser" klassifiziert werden.

Ist die (kommerzielle) E-Book-Leihe ein probates Mittel gegen ein Überhandnehmen der Internetpiraterie?
Es kann helfen. Wenn das dahinter liegende Buchangebot attraktiv ist, das Bezahlverfahren und die Abwicklung reibungslos funktionieren und der Service stimmt.