Streit ums Urheberrecht

Großbaustelle Urheberrecht

26. Februar 2015
von Börsenblatt
Ist der Schutz der Urheber zu stark oder zu schwach? Darüber streitet die Republik. Abseits des Grabenkampfs zeichnen sich Lösungen in digitalen Einzelfragen ab. Eine Bestandsaufnahme von Börsenblatt-Redakteur Michael Roesler-Graichen.

Es  wäre womöglich besser, in eine Urheberrechtskampagne zu investieren als in das Buchmarketing, sagte der Verleger Karl-Peter Winters bei der jüngsten Sitzung des Branchenparlaments. Der Vorsitzende des Verleger-Ausschusses stand mit seiner Meinung ziemlich allein da. Und traf mit seiner Forderung doch einen Nerv: Denn im Moment schlägt die Stunde der Urheber. Die Kampagnen der Autoren, Künstler und Musiker, die auch von Verlagen, Verbänden und Produzenten unterstützt werden, beenden die Defensive, in die die Kreativen in den vergangenen Monaten geraten waren.

Die Stunde der Urheber (Chronik):
2. Mai: Die Akademie der Künste in Berlin kündigt an, eine Verfassungsklage der Urheber zu unterstützen. Der Vorwurf: Die Untätigkeit der Regierung beim Urheberrecht führe zu Rechtsunsicherheit.
26. April: Die Krimiautorenvereinigung Syndikat startet die Aktion "Ja zum Urheberrecht" – mit Unterstützung des Börsenvereins.
5. April: Unter dem Motto "Mein K©pf gehört mir" protestieren im "Handelsblatt" 100 Schriftsteller und Künstler gegen die Umsonstkultur im Internet.
21. März: Sven Regener hält seine inzwischen berühmt gewordene "Wut-Rede", in der er Respekt für kreative Inhalte fordert, den geistigen Diebstahl im Netz anprangert und vor den Folgen warnt.

 

In allen Parteien schien das Thema Urheberrecht an Rückhalt zu verlieren, hinzu kam der Aufstieg der Piraten – und die Untätigkeit der Bundesregierung auf diesem Gebiet, die nach wie vor befremdlich ist. Bundeskanzlerin Merkel hat zwar gerade für einen "temporären Schulterschluss" von Kreativszene und Politik plädiert – doch den gesetzgeberischen Handlungsspielraum schätzt sie gering ein: wegen der internationalen Dimension des Themas.

Die Urheberrechtsdiskussion ist ohnehin zu komplex, als dass man sie auf billige Schwarz-Weiß-Rhetorik reduzieren könnte. Schaut man sich die Großbaustelle Urheberrecht einmal an, so stellt man fest, dass die Diskussion aus unterschiedlicher Perspektive und in mehreren Strängen geführt wird – je nach Position und je nachdem, ob der Kern des Rechts, seine Ausgestaltungen oder die Randzonen berührt werden.

Der Streit um das geistige Eigentum

Das Konzept des geistigen Eigentums, das als historische Errungenschaft der Aufklärung nicht hoch genug bewertet werden kann, wird heute nicht nur von Netzaktivisten à la Anonymous oder Teilen der Piratenpartei abgelehnt – auch einige Rechtswissenschaftler ersetzen es durch den ihrer Ansicht nach schärferen Terminus "Recht an Immaterialgütern" (so wurde etwa 2011 das Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum in MPI für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht umbenannt).

Die Piratenpartei kritisiert in ihrem Programm, dass die derzeitigen rechtlichen Rahmenbedingungen auf "einem veralteten Verständnis von so genanntem 'geistigen Eigentum'" basieren würden. Gleichzeitig erkennt sie, wie es in einer Stellungnahme vom 15. April heißt, "die Urheberpersönlichkeitsrechte vollumfänglich an".

Was man bei allen Erklärungen und Zurechtrückungen der Piraten vermisst: dass Urheber auch den Schutz hinsichtlich der kommerziellen Nutzung ihrer Inhalte genießen – dies ist immerhin ein wesentlicher Bestandteil der Eigentumsgarantie, die die Verfassung den Urhebern zugesteht. Die Piraten kündigen an diesem Punkt den verfassungsrechtlichen Konsens über das Urheberrecht, wie ihn auch das Bundesverfassungsgericht definiert hat, auf.

In Teilen der Netzgemeinde wird der Gedanke der individuell zurechenbaren geistigen Leistung ohnehin abgelehnt. Der Urheber schöpfe aus dem kollektiven Fundus an Ideen und Inhalten, heißt es dort. Er produziere nichts Originäres. Dahinter verbirgt sich eine kollektivistische Schwarmideologie, in der der einzelne nur Teil eines kreativen Prozesses ist, zu dem viele (die "Crowd") beitragen. Ein "Werk" ist dieser Auffassung zufolge nur die Summe vieler (anonymer) Einzelbeiträge (wie bei Wikipedia).

Neue Regeln für die digitale Welt

Als problematisch wird in der aktuellen Diskussion gesehen, dass die für die analoge Welt maßgeschneiderten Regeln für die digitale Praxis unzureichend sind. Der Anzug zwickt und platzt an den Nähten auf: Das meint etwa der Kölner Urheberrechtler Karl-Nikolaus Peifer. Nicht nur, weil sich der Schutzgegenstand und das Nutzungsverhalten verändert hätten, sondern auch, weil die Regelungen des Urheberrechts bisher in ungenügendem Maße an die Anforderungen der digitalen Welt angepasst worden seien. Statt den Schutz von Inhalten im Interesse der Rechteinhaber immer weiter auszudehnen, sollte man Regelungen finden, die der Massennutzung im Netz gerecht werden, meint Peifer. Neben klassischen Inhalten wie E-Books habe man es vor allem mit Hyper-Inhalten auf großen Plattformen wie Google oder YouTube zu tun – aggregiertem Content, der eine (in vielen Fällen ungenehmigte) Drittverwertung von Inhalten darstelle.

Der Urheberrechtler Axel Metzger sieht in der einseitigen Erweiterung der Verwertungsrechte zugunsten der Rechteinhaber einen Grund für die gegenwärtige Politisierung. Man habe es versäumt, die neuen Nutzungsmöglichkeiten auch an die Bedürfnisse der Nutzer anzupassen.

Aus einem anderen Blickwinkel nehmen die Rechteinhaber das Problem wahr: Die Untätigkeit oder mangelnde Professionalität des Gesetzgebers habe dazu geführt, dass der Nutzung und Verbreitung digitaler Inhalte keine Grenzen gesetzt worden seien. Die mit dem Internet propagierte Umsonstkultur habe dazu geführt, dass urheberrechtlich relevante Inhalte im Netz schutzlos seien.

Die Balance, die das Urheberrecht in der analogen Welt auszeichnete, scheint im digitalen Zeitalter gestört zu sein:

  • Die Akzeptanz des Urheberrechts hat gelitten – unter anderem deshalb, weil sich viele Nutzer durch Digital Rights Management und komplizierte Lizenzmodelle gegängelt fühlen.
  • Gleichzeitig wird die Durchsetzbarkeit der Rechte aus faktischen Gründen oder mangels gesetzgeberischer Vorsorge angezweifelt. Ob die Verfahren gegen Plattformen wie Library.nu, Megaupload oder The Pirate Bay dauerhaft abschreckend wirken, bleibt abzuwarten.

Pauschale Vergütungssysteme

Deshalb denken Rechtswissenschaftler wie Peifer auch über Pauschalvergütungen – jedenfalls für Massennutzungen im Internet – nach, die an die Nutzung eines Breitband-Internetanschlusses gekoppelt sein könnten. Dafür müsste eine Art Gebühreneinzugszentrale für geistige Inhalte geschaffen werden. Ob dieses Modell die Zahlungsbereitschaft vieler Umsonstnutzer erhöhen würde, ist allerdings fraglich.
Wie sich ein solches Modell nun nennen mag, ob "Kulturflatrate" oder "Kulturwertmark" – den Grundsatz der individuell festgelegten, werkbezogenen Verwertung wollen die Verlage nicht aufgeben.

Es sind aber Fälle denkbar, in denen pauschale Vergütungsmodelle nach dem Vorbild der Geräteabgaben zweckmäßig wären. Die aktuelle Entscheidung zum Streit zwischen YouTube und der GEMA weist den Weg. Beide Parteien werden ein Modell finden müssen, das ein Durchschnittsentgelt pro Abruf definiert.

Aktuelle Problemfelder und Lösungsansätze

Abseits des Grundsatzstreits ist eine Annäherung zwischen Urhebern, Produzenten und Nutzern in konkreten Einzelfragen durchaus möglich. So könnte man etwa

  • die unlizenzierte Nutzung von Texten und Bildern in sozialen Netzwerken regeln und die Nutzer vor unverhältnismäßigen Abmahngebühren schützen;
  • im Interesse der Kundenfreundlichkeit auf Digital Rights Management bei E-Books verzichten, wie dies der Holtzbrinck-Tochterverlag Tor / Forge angekündigt hat;
  • endlich die Initiative der VG Wort zur Lizenzierung vergriffener und verwaister Werke (VG Wort) aufgreifen und ein entsprechendes Gesetz auf den Weg bringen.
Wie auch immer Lösungen für die vielfältigen Probleme des Urheberrechts aussehen könnten – es ist unwahrscheinlich, dass sie im nationalen Alleingang gefunden werden. Auf die Vorschläge aus Brüssel darf man gespannt sein – ein Plädoyer für ACTA wird nicht dabei sein. EU-Kommissarin Neelie Kroes hat das Abkommen vergangene Woche auf der Konferenz re:publica für mehr oder weniger erledigt erklärt.

Michael Roesler-Graichen