Interview mit Stefanie Schelleis und Wolfgang Michael Hanke

"Wir wollen den Wandel mitgestalten"

24. Mai 2012
von Börsenblatt
Hersteller gehören heute zu den ersten, deren tägliche Arbeit und Perspektiven von den Umwälzungen in der Verlagswelt betroffen sind. Stefanie Schelleis (Hanser) und Wolfgang Michael Hanke (Random House) über digitale Herausforderungen und die Öffnung der Buchbranche zu anderen Medien-Märkten.

Transformation, Wandel – die Worte zogen sich wie ein roter Faden durch Ihre Tagung. Vor welchen Herausforderungen stehen Sie?
Stefanie Schelleis: Momentan ist die ganze Branche im Wandel, nicht nur die Herstellung. Die ganze Marktsituation verändert sich; darauf müssen Verlage mit neuen Vertriebswegen reagieren. Dazu bekommt das Thema e-Book immer mehr Gewicht. Das Problem: Wir können uns nicht beruhigt zurücklehnen, wenn wir uns einmal für bestimmte herstellerische Wege entschieden haben. Die Prozesse vollziehen sich so schnell, dass in einem Jahr schon wieder neue Regeln gelten, man auf anderes reagieren muss. Keiner weiß genau, wohin die Reise geht. Es gibt Prognosen, es wird Verschiebungen geben; ich denke auch, dass das Verlagen wehtun wird. Manchen Verlagsbereichen vermutlich mehr als anderen. Man hat jetzt eine Entscheidung getroffen. Man muss aufmerksam beobachten, um im Zweifelsfall schnell reagieren zu können.

Man muss sich aktiv verändern, bevor man verändert wird, wie Peter Kraus vom Cleff in seinen Keynotes sagte...
Wolfgang Michael Hanke: Wir müssen das auch als Chance begreifen. Wir wollen den Wandel ja mitgestalten! Viele von uns kommen gerade von der Drupa – dort gab es natürlich neue, spannende Technik zu sehen. Aber das entscheidende sind die Prozess-Veränderungen, vor denen wir stehen. Und die finden in den Verlagen statt. Beispielsweise ist der Weg vom Satz, von der Datei zum e-Pub völlig unterschiedlich, auch bei uns innerhalb von Random House. Meine Kollegen in UK machen das völlig anders als wir....

Schelleis: Weil wir einfach auch auf die Marktsituation reagieren, merken wir, dass wir immer öfter immer kleinere Nachauflagen in den Buchhandel bringen. Lieferbarkeit spielt da eine große Rolle, aber natürlich auch Lagerkapazitäten, Lagerkosten... Viele Druckereien reagieren, indem sie sich Digitaldruckmaschinen anschaffen, damit sie einfach Auflagen in Bereichen möglich machen, an vor fünf Jahren noch niemand gedacht hätte. Dahinter steht dann eine Nachauflagen- oder Verwaltungs-Software, die die Prozesse innerhalb der Verlage schlank hält. Momentan wollen und müssen die Verlage sehr individuell auf den Markt reagieren. Das lässt sich nicht zurückdrehen, das ist  die Zukunft.

Hanke: Wir haben seit ein paar Jahren schon ein Kleinauflagen-Konzept aufgesetzt, dass – mehr oder weniger – völlig automatisiert ist.

Arbeiten Sie mit solchen Prozessen schon an Ihrer eigenen Abschaffung?
Hanke: Im Gegenteil! Das ermöglicht im Zweifel eine Verlängerung von Lebenszyklen. Wir überlegen: Brauchen wir einen bestimmten Titel noch physisch? Oder können wir die Lieferbarkeit elektronisch gewährleisten? Oft wollen die Autoren natürlich, dass die Bücher noch körperlich vorhanden sind. Mittlerweile gibt es Möglichkeiten im Kleinauflagenbereich, die wir bisher nicht bedienen konnten. Jeder Nachdruck unter 3000 tut dem klassischen Offsetdruck weh und ist mehr oder weniger nur schwierig wirtschaftlich darstellbar. Jetzt gibt es die Möglichkeit, Auflagen, die sich zwischen 20 und 50 bewegen, zu realisieren. Wir haben eine viel geringere Kapitalbindung, wir haben viel geringere Bestände... ein Riesen-Thema!

Auch in diesem Jahr haben Sie sich Referenten aus anderen Branchen eingeladen, darunter einen jungen Spiele-Entwickler, dessen Vortrag für ziemliches Aufsehen sorgte...
Schelleis: Wir finden, dass es ungeheuer wichtig ist, das eigene Tun auch von außen gespiegelt zu bekommen. Unsere Branche arbeitet noch sehr traditionell, ist in vielen Dingen sehr eigen. Wenn sich in anderen Branchen, die uns nahe sind – sei es in der Zeitungs-, Spiele- oder Musikbranche – die Dinge so rasant verändern, müssen wir uns doch fragen: Können wir nicht davon lernen? Wir SIND natürlich nicht die Spiele-Branche – dennoch hat der Vortrag viele doch sehr nachdenklich gemacht.

Hanke: Ich glaube nicht, dass wir künftig Nichtleser mit klassischen Büchern erreichen werden. Auf der anderen Seite gibt es aber extrem intensive Mediennutzer. Und unser Geschäft sind Medien! Insofern stellt sich die Frage: Müssen wir das klassische Lesen in Zukunft noch so begreifen, so vertreiben, so definieren, wie wir es bisher getan haben? Das Kinderbuch – wo wir ganz nahe an der Spiele-Welt, an der interaktiven Welt, sind – wird sich öffnen. Ich glaube schon, dass sich da auch bestimmte unterschiedliche Märkte befruchten können.

Schelleis: Gerade da, wo wir den Print-Bereich verlassen und unsere Inhalte aufbereiten, ist es bestimmt in manchen Bereichen ratsam, zu überlegen, ob man Konzepte, die Spiele erfolgreich gemacht haben, nicht auf andere Produkte oder Inhalte anwenden kann. Wir denken, weil wir das Jahrzehnte so gemacht haben, immer noch sehr „in Print“ – es ist nur folgerichtig, dass wir andere Denkweisen, das Know-how aus anderen Bereichen mit einbeziehen.

Digitalisierungt, aber auch Ökologie, Papier, Veredelung, die "Schönsten Bücher" – Irsee lebt von der Vielfalt, der Breite der Themensetzung?
Schelleis: Die Verlage, die hier vertreten sind – vielfältiger und heterogener kann es kaum sein. Im Extremfall hat der Tätigkeitsbereich des einen Herstellers mit dem seines Kollegen überhaupt nichts mehr zu tun. Man merkt es ja mittlerweile schon daran, wie man sich nennt: Content-Manager, Herstellungsleiter, Production Director... Deswegen versuchen wir, die Themen breit anzulegen. Und genau das spiegelt die Realität in den Herstellungsabteilungen wider, die tatsächlich sehr komplex ist. Es findet natürlich Gestaltung statt – und Materialien und Veredelung sind, so lange es um Print-Produkte geht, immer ein Thema. Gerade jetzt müssen wir ja ein verstärktes Augenmerk auf das Buch als Körper haben. Aber wir müssen auch schauen, wie wir mit Ressourcen umgehen – deshalb auch ein "grünes" Thema. Es ist ein weites Feld...

Hanke: Bei aller Digitalisierung werden wir unsere Geschäfte weiter auch in Print machen. Die Frage ist nur: Wie lange wird es noch das deutlich größere Geschäft bleiben? Aber Print wird bleiben. Im Gegenteil: Es kommt dann wieder der Vertrieb an uns heran und sagt: Ihr müsst die Bücher attraktiver machen. Gerade das immer wieder bemühte Haptische, all die Dinge, die ein körperliches Buch leisten kann, wird Vorteile bringen. Wir wissen, wie wichtig Emotionalität ist – die kann ich über ein schön gemachtes Buch viel besser transportieren. Aus dieser Sicht werden Herstellungsabteilungen in ihrer Bedeutung vielleicht sogar noch gewinnen. Mit unserer Tagung wollen wir ein Forum für den Austausch bieten und, ja, auch für Visionen. Und dann mit möglichst viel Input wieder an die Arbeit gehen.

Für Irsee muss man kaum Reklame machen, Sie gelten als ausgebucht. Sollte man sich dennoch um eine Teilnahme bemühen?
Hanke: Unbedingt. Nicht immer können alle "Stammteilnehmer" da sein, es gibt eine gewisse Fluktuation. Wir haben dennoch in jedem Jahr neue Kolleginnen und Kollegen begrüßen können; in diesem Jahr waren es zehn. Und die Warteliste ist nicht immens lang...  

nk

Stefanie Schelleis (Hanser) und Wolfgang Michael Hanke (Random House) wurden auf der am letzten Sonntag zu Ende gegangenen 62. Arbeitstagung der Herstellungsleiter erneut ins sechsköpfige Tagungsgremium gewählt, dem auch Reiner Blankenhorn (Apotheker Verlag), Thomas Narr (G+U), Magdalene Krumbeck (Peter Hammer) und Michaela Philipzen (Ullstein) angehören.

Am 3. August 2012 wird das neue Gremium über die Programmgestaltung der nächsten Tagung beraten; alle Tagungsteilnehmer sind aufgerufen, dem Tagungsbüro Themenvorschläge und Anregungen mitzuteilen.

Die 63. Arbeitstagung der Herstellungsleiter findet vom 8. bis 12. Mai 2013 statt; Anmeldungen nimmt das Tagungsbüro ab Januar 2013 entgegen.

Karin Kern

Tagungsbüro

Alte Bergstraße 457b

86899 Landsberg am Lech

Telefon:  0171 / 833 19 85
E-Mail:
karin.kern.LL@t-online.de
http://herstellungsleitertagung.de