Kongress Deutsche Fachpresse Essen

"Es gibt keine Blaupause"

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Heute und morgen (14. / 15. Juni) trifft sich die Fachmedienbranche zum alljährlichen Kongress der Deutschen Fachpresse – in diesem Jahr erstmals in Essen. Boersenblatt.net hat mit Claudia Michalski über die Perspektiven der Fachpresse und Monetarisierungsstrategien in der Verlagswelt gesprochen.

Während die Publikumspresse einen nie erlebten Schwund ihrer verkauften Auflage erlebt, entwickelt sich die Fachpresse bemerkenswert stabil und hat 2011 sogar leicht zugelegt. Wo liegt der Unterschied?
Grundsätzlich ist der Content der Fachverlage viel weniger austauschbar als der der Publikumsverlage und deshalb auch werthaltiger für die jeweiligen Zielgruppen. Mit den Inhalten der Fachverlage erwerben die Nutzer Glaubwürdigkeit und Sicherheit. Daher ist auch die Zahlungsbereitschaft höher als im Publikumsbereich. Das ist in Zeiten des Medienwandels ein Vorteil. Die Fachverlage kennen zudem ihre Zielgruppen sehr gut: die Nutzungsgewohnheiten, die Prozesse in den Unternehmen. Deswegen können sie leichter neue Geschäftsmodelle, innovative Produktformen und andere mediale Formen entwickeln als Publikumsverlage.

Tragen auch neue Geschäftsfelder wie Kongresse oder Seminare dazu bei, dass die Fachpresse stabil läuft?
Das hängt sehr von der Zielgruppe ab – bei Handwerkern funktioniert das anders als bei Architekten, Ärzten oder Rechtsanwälten. Der Erfolg des Kongress- oder Seminargeschäfts ist außerdem sehr stark vom Ruf des Anbieters abhängig. Hinzu kommt, dass nicht in jeder Branche Präsenzveranstaltungen beliebt sind. Da sollte man dann eher E-Learning oder Webinare anbieten.

Werden sich B2B-Printmedien länger behaupten als gedruckte Publikumszeitschriften?
Nicht unbedingt. Für die meisten Fachverlage ist es mittlerweile gleichgültig, in welcher medialen Form die Produkte geliefert werden, weil sie ihre Inhalte sowieso medienneutral erstellen. Es kommt vielmehr darauf an, ob die Zielgruppe mehr auf Print- oder auf digitale Medien fokussiert ist. Publikumsverlage haben es mit Printmedien schwerer, weil viele Inhalte online kostenlos angeboten werden. Das bringt zwar eine höhere Reichweite, die dazu genutzt wird, Werbeerlöse zu generieren. Aber man bewegt sich dann in einem sehr volatilen und unkalkulierbaren Bereich. Content- und Werbevermarktung müssen in einer vernünftigen Balance bleiben.

Müssen Fachmedien ihre Online-Strategie forcieren?
Ja, denn in der Online-Strategie steckt das Wachstum. Aber Online allein genügt nicht – man braucht crossmediale Ansätze. Bei Beuth zum Beispiel sind vor allem die Produkte erfolgreich, die Print und Online sinnvoll kombinieren. So kann man etwa weiterführende Informationen, die über das Printangebot hinausgehen, online bringen – und dafür zahlen die Nutzer auch. Ganz massiv wird sich die Situation in den Fachverlagen aber durch die exponentielle Verbreitung der mobilen Endgeräte verändern – Smartphones und Tablets. Zwei Drittel der iPad-Besitzer lesen Zeitschriften auf ihren Geräten – das ist eine starke Zahl, die auch die härtesten Online-Verweigerer überzeugen sollte. Die Fachverlage müssen sich schnell auf die neue Situation einstellen. Das wird nicht ohne kostspielige Investitionen möglich sein, was vor allem kleinere Verlagshäuser vor Probleme stellen könnte.

Zentrales Thema des Fachpressekongresses sind Monetarisierungsstrategien. Ist Paid Content eines der Erfolgsrezepte?
Nicht für jeden Fachverlag. Grundsätzlich gilt: Je weniger austauschbar die Inhalte sind, desto erfolgreicher sind die Paid-Content-Modelle. Andere Häuser setzen mehr auf Werbefinanzierung ihrer Angebote. Da lassen sich dann Marktplätze, Communitys, Tools für den Handel wunderbar anbinden. Für die Werbekunden ist das ein attraktives Modell. Ideales Beispiel für einen Online-Marktplatz ist der Traktorpool des Landwirtschaftsverlags in Münster, wo seit Jahren Gebrauchtmaschinen gehandelt werden. Es gibt aber kein Patentrezept und keine Blaupause, die man auf jedes Unternehmen übertragen könnte. Der Kongress der Deutschen Fachpresse findet ja dieses Jahr erstmals in Essen statt und steht damit auch für den Aufbruch in neue Geschäftsfelder und in die Online-Welt. In den Vorträgen werden zahlreiche Beispiele für Monetarisierungsstrategien gegeben.

Ist der Fachverleger künftig mehr Dienstleis­ter, Lösungsanbieter, Software-Entwickler, der "Tools" für Entscheider bereitstellt?
Prinzipiell muss jeder Verlag darüber nachdenken. Lösungsanbieter kann man für die Industrie sein, aber auch für ein Architekturbüro, eine Rechtsanwaltskanzlei oder einen Handwerksbetrieb. Für Fachverlage ist es wichtig, stärker in die Prozesse ihrer Kunden eingebunden zu sein. Dazu ist eine Analyse notwendig: Wie arbeitet der Kunde mit unseren Inhalten, und welche zusätzlichen Tools kann ich ihm anbieten? Wie kann ich ihm die Arbeitsabläufe erleichtern? Die Währung ist dann Zeitersparnis und Convenience. Industriekunden wollen heute nicht mehr mit unterschiedlichen Datenbanken arbeiten, sondern alles unter einer Oberfläche nutzen können.

Was bedeutet diese Entwicklung für die Personalpolitik der Verlage?
Bei Neueinstellungen achtet man darauf, dass man hochqualifizierte Mitarbeiter bekommt, die selbstverständlich Englisch können und Online-Kompetenz mitbringen. Aber auch Soft skills wie Teamfähigkeit und Konfliktfähigkeit sind heute in den Verlagen wichtiger als früher. Und damit ein Produkt nicht nur entwickelt, sondern auch erfolgreich vermarktet werden kann, ist wesentlich mehr Kooperation nötig als früher.

Sie arbeiten als Spitzenmanagerin in einem von Männern beherrschten Umfeld. Welche besonderen Eigenschaften bringen Frauen für das Management mit? Oder ist eine solche Frage heutzutage überflüssig?
Das ist durchaus noch ein Thema. Ich glaube, dass im Management der Zukunft typisch weibliche Eigenschaften wie Empathie und Intuition stärker gefragt sind denn je. Deshalb sind Frauen im Management im Kommen. Das ist in der Politik und auch in den Unternehmen so. Die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle zum Beispiel erfordert in den Verlagen viel mehr Interaktion aller Beteiligten, als man es bisher gewohnt war. Da entstehen Konflikte, da kommen terminologische Missverständnisse auf, wenn Abteilungen miteinander reden müssen, die unterschiedliche Sprachen sprechen. Wenn Männer mit ihrer Coolness, Sachlichkeit und »Schnörkellosigkeit« und Frauen mit ihrer Kommunikationsfähigkeit zusammenkommen, erzielt man am Ende die besten Ergebnisse.


Interview: Michael Roesler-Graichen

 

Zur Person
Claudia Michalski gehört dem Vorstand der Deutschen Fachpresse an und ist stellvertretende Vorsitzende der AGZV. Ab 1. Juli verantwortet sie bei der Verlagsgruppe Handelsblatt die Fachmedien, das digitale Geschäft und das Beteiligungsmanagement. Zuvor war Michalski Sprecherin der Geschäftsführung beim Beuth Verlag in Berlin.