Interview mit Renate Reichstein

"Weg vom Katzentisch!"

20. Juni 2012
von Börsenblatt
Welche neuen Aufgaben will die Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen avj anpacken? Fünf Fragen von boersenblatt.net an die neugewählte avj-Vorsitzende Renate Reichstein.

Welche Aufgaben will der neue Vorstand vorrangig anpacken?

Wir möchten den Kontakt zum Sortimenter-Ausschuss des Börsenvereins intensivieren, der bezüglich des Welttags des Buches schon sehr gut läuft. Die Praxisseminare, die ich nun schon acht Mal organisiert und moderiert habe, zeigen mir immer wieder, dass sowohl von Verlags- als auch von Buchhändlerseite ein regerer Austausch gewünscht wird. Den möchten wir gerne anstoßen.

In früheren Zeiten gab es mehr zeitlich begrenzte AGs, was die Vorstandsarbeit erleichtert hat. In den vergangenen Jahren hat der Vorstand vieles allein gemacht. Wäre es nicht wieder an der Zeit, mehr Mitglieder an der avj-Arbeit zu beteiligen?

Ich bin jetzt seit achteinhalb Jahren im Vorstand der avj, und in dieser Zeit wurde - unter Klaus Willberg - die avj-Geschäftsstelle dauerhaft nach Frankfurt an den Sitz des Börsenvereins verlegt und mit einer hauptamtlichen Geschäftsführerin besetzt. Die avj wurde also professionalisiert. Unter Ulrich Störiko-Blume wurde diese Professionalisierung weiter fortgeführt.  Für besondere Problemfelder wie die Spielzeugrichtlinie EN 71 haben wir uns kundige Hilfe aus den Mitgliedsverlagen geholt. Das werden wir auch weiterhin tun, so uns das notwendig erscheint. Ich möchte aber, dass im neuen Vorstand jedes Vorstands- und Beiratsmitglied für spezielle Themen zuständig ist. Das werden wir im Januar 2013 dann auch kommunizieren.

Während die Mitgliederzahl manch anderer Zusammenschlüsse sinkt, ist die Zahl der avj-Mitglieder auf nunmehr 95 gestiegen - gerade sind Heyne fliegt und  Aladin dazugekommen. Was macht die avj attraktiv?

Natürlich freut uns diese Gegen-den-Trend-Bewegung sehr! Ich nehme mal an - ohne vorher eine Befragung der Mitglieder und vor allem der Neu-Mitglieder durchgeführt zu haben - dass die vollzogene Professionalisierung und die öffentliche Präsenz der avj Anteil an dieser Entwirklung haben. Die Kinderbuchverlage sind nicht mehr an den Katzentisch verbannt! Waren bei der Vergütungsvereinbarung über Autorenhonorare die Kinderbuchverlage ebenso wie die Sachbuchverlage noch ausdrücklich ausgenommen, haben wir sowohl bei den Verhandlungen über die Übersetzervergütungen als auch über den neuen Normvertrag darauf geachtet, dass die Kinderbuchverlage selbstverständlich nicht nur gehört, sondern auch einbezogen werden.  Als zweitstärktste Fraktion - nach der Belletristik - sind wir mit 15,7% Marktanteil in 2011 nicht zu ignorieren. Das gibt den Mitgliedsverlagen und natürlich der avj nicht nur Selbstvertrauen, sondern auch Gewicht.


Wenn die Erwachsenenverlage im Kinder- und Jugendbuch agieren, sollten da die  Jugendbuchverlage umgekehrt versuchen, sich auch im Erwachsenenbuch zu profilieren – oder lieber ihre Kernkompetenz bewahren?- Diese Frage beantworte ich jetzt mal ganz persönlich: Schuster bleib bei deinen Leisten und verbessere sie! Die Kinder-  und Jugendbuchverlage haben eine ganz große Verantwortung im Bezug auf Lese-Fähigkeits-Förderung und Lese-Lust-Förderung. Das kann niemand so gut wie unsere Mitglieder. Leider - und auch das ist eine persönliche Bemerkung - hat in den vergangen Jahren das Segment der klassischen Kinderbücher für die Altersgruppe von 8 bis 10 Jahren immer mehr abgenommen. Man hat sich  auf die sehr umsatzstarken All-Age- oder Young-Adult-Titel gestürzt. Wenn wir aber nicht die Lese-Anfänger zu Lust-Lesern machen, ihnen also die Bücher an die Hand geben, die sie von anderen Medien zumindest eine gewisse Zeit fernhalten - wer soll dann in wenigen Jahren noch die All-Age- und Young-Adult-Titel kaufen und lesen? Ich möchte unbedingt eine Lanze brechen für das klassische Kinderbuch. Jedes gelesene Buch ist ein gutes Buch!

Wie kann die avj noch stärker mit den Buchhandlungen kooperieren?

Die avj selber kann gar nicht groß kooperieren. Wir können aber Kontakte anbahnen und hoffentlich Kooperationen vermitteln. Wir werden auf jeden Fall das Praxisseminar, das sich zunehmend größerer Teilnehmerzahlen erfreut, fortführen. Und wie gesagt möchte ich mit den neuen Vorstand ab 2013 die Kontakte zum Sortimenter-Ausschuss intensivieren. Es kann beiden Seiten - Verlagen und Buchhändlern - nur nutzen, wenn man im Gespräch die Befindlichkeiten, Wünsche und Probleme der anderen Seite kennenlernt und Wege zu einer besseren Kooperation sucht. Und hoffentlich findet.