Gastspiel

Mittendrin im Leben

6. Juli 2015
von Börsenblatt
Warum Nadja Kneissler ein Ehrenamt im Börsenverein übernimmt – obwohl sie eigentlich keine Ämter mag.

Ich mag Ämter nicht. Bei Ämtern fällt mir immer sofort und zuerst das Finanzamt ein – und schon schlägt mein Gewissen Purzelbäume: Habe ich wieder irgendetwas nicht pünktlich erledigt? Die Steuererklärung, das Bezahlen der Hundesteuer? Als Zweites kommt mir das Landratsamt in den Sinn – und Briefe, die schon von außen vermuten lassen, dass sie uncharmante Fotos enthalten und dass vom Übertreten einer Geschwindigkeitsbegrenzung die Rede sein könnte. Dann wäre da noch das Standesamt – aber lassen wir das, das ist zu privat.

Ich mag Ämter nicht – aber jetzt übernehme ich selbst ab Oktober ein Amt. Ein Ehrenamt. Und ich wurde gefragt, warum das Ehrenamt wichtig sei. Ich finde: Nicht das Amt ist wichtig – es geht darum, sich für ein Thema zu engagieren, das einem am Herzen liegt.

Wir haben einen komplexen Interessenverband, dem es gelingt, die drei Sparten Buchhandel, Zwischenbuchhandel und Verlage mit manchmal durchaus unterschiedlichen Interessenlagen zu vereinen – in einer Zeit, in der sich viele Rahmenbedingungen, die Jahrzehnte Geltung hatten, rasant verändern: Der Medienwandel macht Autoren zu Verlegern, verändert Workflows, verschiebt Vertriebswege, erfordert neue Berufsbilder, öffnet neue Geschäftsfelder, bringt neue Technologien und globale Player in die Branche, verlockt die Wirtschaftstöchter des Verbands zu neuen Aktivitäten. Der Börsenverein, bisher ein geschickter Seiltänzer, muss jetzt bei heftigen Gewitterböen auf einem sehr straff gespannten Seil die Balance halten und zugleich mit den drei Branchenbällen jonglieren, ohne einen davon fallen zu lassen. Eine echte Herausforderung.

Der Verleger-Ausschuss, an dessen Treffen ich als Sprecherin des Arbeitskreises Ratgeberverlage schon einige Jahre teilnehmen durfte, ist ein spannendes Gremium mit engagierten Vertretern aus den unterschiedlichsten Verlagssparten. Ich schätze deren Arbeit außerordentlich – trotzdem habe ich kürzlich leise Kritik geübt: Ich wünschte mir mehr Aktionen anstatt Reaktionen – ob es um die Urheberrechtsdebatte geht oder um die Frage, wie unser Nachwuchs zukünftig ausgebildet werden muss. Ich wünschte mir eine offenere Diskussion mit den anderen Sparten. Was passiert, wenn man solche Wünsche äußert? Man wird gefragt, ob man aktiv werden und sich zur Wahl stellen will. Jetzt freue ich mich darauf, ab Oktober 2012 im Verleger-Ausschuss zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen aus den Verlagen dazu beizutragen, dass der Drahtseilakt auch weiterhin gelingt.

Ein Verband vertritt die Interessen seiner Mitglieder und unterstützt sie. Gerade in Zeiten der Veränderung, wie wir sie momentan haben, hat der Börsenverein eine wichtige Funktion. Je mehr Mitglieder sich aktiv daran beteiligen, desto genauer lernt der Verband die Interessen seiner Mitglieder kennen, und desto konkreter und zielgerichteter kann er agieren. Das Mitarbeiten kostet ein bisschen Lebenszeit. Aber dafür ist man auch mittendrin im Leben. Und vielleicht gelingt es, Dinge zu beeinflussen, die einem am Herzen liegen. Ich möchte das gern versuchen. Und wenn ich dazu ein Ehrenamt übernehmen  muss, weil eine solche Organisation bestimmte Strukturen erfordert, dann tue ich das gern – obwohl ich Ämter eigentlich nicht mag.