Internationales Lizenzgeschäft

Höhenflug mit Habermas

9. August 2012
von Regine Meyer-Arlt
Der Lizenzmarkt in Europa wird für deutsche Verlage enger – doch dafür läuft das Geschäft mit China rund. Wer klug ist, sucht heute schon nach den Partnern von morgen.

Lizenzverkäufe ins Ausland verschaffen Autoren Prestige und Verlagen ein interessantes Zusatzgeschäft. Und damit zeigen sich die Verlage derzeit durchaus zufrieden. Zwar konnten sie im vergangenen Jahr nicht ganz so viele Titel ins Ausland verkaufen wie im Vorjahr: genau 8.000 Titel waren es laut Lizenzumfrage des Börsenvereins, knapp 200 weniger als 2010.

Trotzdem zufrieden

Doch nicht allein die Zahl der Verträge entscheidet über die Qualität des Geschäfts, in die Bilanz rechnen die Lizenzabteilungen ebenso die Entwicklung der Vorschüsse und Honorare mit ein – und den Aufbau von zuverlässigen Kontakten, vor allem in aufstrebenden Märkten. Gemessen an den Erwartungen, die aufgrund der schwierigen Wirtschaftslage vor allem in Europa nicht eben hoch waren, sind die Verlage mit dem Lizenzgeschäft 2011 ganz zufrieden.

Einzelne Häuser haben den leichten Rückgang der Lizenzdeals ohnehin nicht gespürt – Petra Hardt, Leiterin der Abteilung Rechte und Lizenzen bei Suhrkamp, spricht gar vom - "besten Geschäft seit 17 Jahren". Und für 2012 sind die Aussichten offenbar ebenfalls nicht schlecht. Carolin Mungard, Leiterin der Rowohlt-Abteilung Verträge und Lizenzen, freut sich über ein „sehr, sehr gutes Jahr“ – genauso wie Florence Christ, Chefin für Auslandslizenzen und Koproduktionen bei Ravensburger ("Das Jahr entwickelt sich sehr gut.") Denn: Ravensburger vergebe viele Lizenzen nach Russland und in die Ukraine und habe mit der Türkei und Island neue Lizenzpartner für Koproduktionen -gefunden. Außerdem ziehe die Nachfrage in China weiter an.

"Die Chinesen wollen verstehen, wie wir ticken"

Das ist kein Wunder: 2010 und 2011 haben die deutschen Verlage die meisten Lizenzvereinbarungen mit chinesischen Partnern abgeschlossen. Hier ist die Zahl der Verkäufe im vergangenen Jahr sogar gestiegen, wie die Lizenzumfrage zeigt: von 789 auf 1.072 Deals. Allein Suhrkamp hat 400 lieferbare Titel in China lizenziert.

"Die Chinesen wollen verstehen, wie wir ticken, sie wollen näher an uns heranrücken" – so erklärt Renate Reichstein, Lizenzchefin bei Oetinger, den Boom. Die Chinesen schätzten vor allem Kinderbücher – dieses Genre ist ohnehin Exportschlager deutscher Verlage, auch wenn ihr Anteil am Lizenzgeschäft 2011 von 38 auf 30,8 Prozent gesunken ist.

Die Zahl der Vertragsabschlüsse allein sagt aber noch nichts über den tatsächlichen geschäftlichen Erfolg aus. Carlsen etwa hat 2011 zwar weniger Vereinbarungen unterzeichnet – aber dieses Minus dafür durch höhere Vorschüsse ausgeglichen. Der Verlag hatte 2010 viele Pixi-Buchverträge auf relativ niedrigem Niveau geschlossen. 2011 kamen nun umfangreichere Werke zum Zuge. Daniela Steiner, die bei Carlsen die Abteilung Rechte und Lizenzen leitet, konnte allein für Andreas Steinhöfels Trilogie über Rico und Oskar 30 Auslandslizenzen vergeben.

Erfolg in Serie

Die Länderstatistik führt auch bei Carlsen mit großem Abstand China an. Bei Oetinger steht China im Ranking ebenfalls weit vorn. "Dort setzen sich immer mehr von staatlicher Aufsicht befreite Verlage durch", so die Beobachtung von Renate Reichstein. Chinesen würden mit Vorliebe möglichst vielbändige Serien einkaufen, sagt sie. "Einzeltitel haben es schwer, aber was die Themen angeht, sind die chinesischen Partner überraschend offen." Reichsteins Bilanz für das Lizenzjahr 2011 fällt gut aus: Anders als bei Carlsen ist das Vorschussvolumen hier zwar etwas gesunken – dafür hat die steigende Zahl der Verträge dieses Manko wieder wettgemacht. Auch so kann’s gehen.

450.000 japanische Gedankenleser

Selbst wenn der Erfolg in China das Gegenteil nahelegt: Der asiatische Markt sei alles in allem nicht leicht zu bedienen, resümieren die befragten Verlage. So erschweren immer neue staatliche Regelungen die Geschäftsbeziehungen mit China, Japan kauft nur sehr ausgewählte Titel ein, in Vietnam belastet das massive Raubkopierwesen den Lizenzhandel, Südkoreas Ambitionen sind sehr wechselhaft. Und überall gilt: Ansprechpartner in den Partnerverlagen können schnell wechseln.

Aber: Überraschungserfolge gibt es immer. So hat der japanische Verlag Sunmark bei Rowohlt den Bestseller des Gedankenlesers Thorsten Havener ("Ich weiß, was du denkst") eingekauft und schon mehr als 450 000 Exemplare davon abgesetzt.

Brasilien bereitet sich vor

Auf der anderen Seite der Erdkugel, in Südamerika, muss sich der Markt indessen erst noch entwickeln. Dass er das tut, wird allerdings kaum bezweifelt. Besonders viel versprechen sich deutsche Rechtehändler von Brasilien – dem Gastland der Frankfurter Buchmesse 2013. Der dortige Buchmarkt wächst, ebenso die Zahl der Verlage.

"Die Höhe der Vorauszahlungen aus Spanien ist um die Hälfte gesunken"

Anders steht es um Spanien. Das Land ist, wohl auch aufgrund der Finanzkrise, 2011 in der Länderstatistik vom zweiten auf den vierten Platz abgerutscht. "Die ersten spanischen Verlage kommen in Zahlungsschwierigkeiten", sagt Agentin Anja Mundt. Florence Christ (Ravensburger) bestätigt den Abschwung: "Ehemals gute Koproduktionspartner wie Spanien und früher auch Portugal kaufen viel weniger, auch die Auflagen sind stark geschrumpft." Und Petra Hardt (Suhrkamp) berichtet: "Die Höhe der Vorauszahlungen aus Spanien ist um die Hälfte gesunken. Dennoch ist es wirtschaftlich sinnvoll, Verträge zu schließen – sonst zerstören wir den Markt."

The Lucky one

Grundsätzlich gilt: Werke eingeführter Autoren sind leichter zu verkaufen als Newcomer. Der ausländische Partner lernt Titel in der Regel dann schätzen, wenn er sie über längere Zeit im Verlagsprogramm findet. Suhrkamp etwa ist gerade mit Jürgen Habermas auf Höhenflug: "Habermas wollen alle haben", freut sich Hardt. "Wir haben viele wachsende Märkte – sei es China, Indien, Brasilien oder Kasachstan, Aserbaidschan und die Ukraine. Dort ist Bildung für die nachwachsende Generation das große Ziel. Und dazu braucht es die Aufklärung: Habermas, Adorno, Beck und Honneth."

Gerade hat Hardt das Habermas’sche Gesamtwerk für 25 Jahre an den brasilianischen Universitätsverlag Unesp lizenziert: "Finanziell sehr attraktiv." 2011 waren Titel von Thomas Bernhard und Judith Schalansky ihre literarischen Top-Exporte, der Anteil der Auslandslizenzen am Suhrkamp-Umsatz liegt bei 15 Prozent (vor drei Jahren: fünf bis zehn Prozent). Demnächst startet Hardt Marktrecherchen in Afrika, und zwar in Senegal, Ghana, Südafrika und Äthiopien. "We are the Lucky one", sagt Hardt. "Wir führen Literatur für den Weltmarkt."

Details zum Lizenzhandel in "Buch und Buchhandel in Zahlen 2012", herausgegeben vom Börsenverein (144 Seiten, 39,50 Euro; für den Versand des gedruckten Exemplars kommen noch 85 Cent hinzu).
Bestellung: MVB Marketing- und Verlagsservice des Buchhandels oder digital als E-Book bei libreka! (www.libreka.de);
Telefon: 069 / 1306-550 

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