Gastspiel

Irgendwas mit Jakobsweg

30. August 2012
von Börsenblatt
Der Buchtitel ist die ganze Miete. Markus Barth über den Findungswahnsinn und ultimative Totschlagargumente im Verlagswesen.

Kein Buchtitel der letzten Jahre hat mich so nachhaltig sprachlos gemacht wie: »Lob der Vernunftehe – Eine Streitschrift für mehr Realismus in der Liebe«. Warum? Na, ich stelle mir einfach vor, wie das so ist, wenn man verheiratet ist und dieses Buch kauft. Wenn man es dann zu Hause auf den Nachttisch legt, der nichts ahnende Ehepartner sieht es irgendwann und liest das Cover. Da wünsche ich viel Spaß bei der anschließenden Beziehungsdiskussion! Spannendere Wortgefechte kann ich mir nur noch vorstellen, wenn Susanne Fröhlich irgendwann ein neues Buch herausbringt und es »Moppel-Du – Was tun, wenn der Partner aus dem Leim geht?« nennt.
Dabei sind Titel so unglaublich wichtig für den Bücherverkauf. Oder, wie mein Lektor es vor Erscheinen meines ersten Buchs mal ausdrückte: »Wir brauchen einen lustigen Titel! Solche Bücher haben nämlich den Vorteil, dass man sie gar nicht mehr lesen muss. Man hat ja schon über das Cover gelacht!«
»Aber ich fände es eigentlich ganz schön, wenn die Leute das Buch auch lesen würden«, gab ich vorsichtig zu bedenken.
»Und ich fänd’s ganz schön, wenn’s morgen Hefeweizen regnet. Aber für uns beide gilt: Wir sollten erst mal nicht davon ausgehen!«
Dann überlegten wir uns ungefähr 20 Möglichkeiten (Relativ weit vorne lagen: »Wer bist du und wenn ja, hau ab!« und »Maria, er schmeckt nicht – Geschichten aus meiner Kannibalen­sippe« – nur leider habe ich keine Kannibalensippe) und wann immer ich unsicher wurde, bekräftigte mein Lektor seine Vorschläge mit einem »Aber die Vertreter wollen das auch!« Das ist nämlich, wie ich mittlerweile gelernt habe, das Totschlagargument im Verlagswesen. Ich habe diesen Satz in den letzten Jahren so oft gehört, dass ich ihn selbst in meinen Sprachgebrauch übernommen habe:
»Schatz, ich bestell uns ’ne Pizza.«
»Nee, keine Lust.«
»Aber die Vertreter wollen das auch!«
Als es dann auf das zweite Buch zuging, bekam ich wieder einen Anruf: »Markus, wir brauchen dringend ...«
»Lass mich raten: nen lustigen Titel?«
»Fast. Lustig ist schon gut, aber noch besser wäre was mit SM.«
»Bitte?«
»Du weißt schon, wie in ›Shades of Grey‹, bisschen Fesselspiele und so.«
»In meinem Buch gibt’s kein SM.«
»Bei ›Shades of Grey‹ auch nicht. Höchstens so amerikanisches Hausfrauen-SM. ›Huuu, bewirf mich mit Marshmallows!‹ Da kannst du locker mithalten!«
Ich atmete tief durch.
»Können wir nicht einfach wieder nen lustigen Titel machen?«
»Ach Markus, du bist so 2010! SM ist das neue lustig!«
Wir schwiegen uns kurz an. Dann sagte er: »Wir können natürlich beides versuchen – Titelparodie und SM!«
»Zum Beispiel?«
»Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und im SM-Studio verschwand.«
»Das ergibt doch gar keinen Sinn!«
»Die Adler-Olsen-Titel haben auch keinen Sinn. ›Erbarmen‹, ›Schändung‹, ›Erlösung‹ – Die könnten genauso gut Rosmarin, Dienstag und Kartoffelsalat heißen, hätte genauso viel mit dem Inhalt zu tun.«
Dann hatte er eine Idee: »Jetzt hab ich’s! Wir machen ne Mischung aus Skandinavier-Krimi und Fesselspielchen!« Ich hörte ihn laut überlegen: »Verblendung, Vergebung – Verknotung vielleicht?«
»Mein Buch ist auch kein Krimi!«
»Dann irgendwas mit Jakobsweg. Pilgerfahrten gehen immer. Am besten Jakobsweg und SM – vielleicht ›Der Prügel-Pilger‹?«
Ich seufzte: »Mach’s gut, ja?«
»Aber die Vertreter woll...«
Da legte ich auf.