Stadtschreiberfest Bergen-Enkheim

Wattestäbchen bei Rewe

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Zum 39. Mal wurde der älteste Stadtschreiberpreis vergeben: Marcel Beyer übernahm am Freitag von Thomas Lehr den Schlüssel für das Schriftstellerdomizil in Bergen-Enkheim.

Das große Zelt steht in der Mitte des Berger Marktes, davor: Karussell, Jahrmarktsbuden – ein Rummel eben. Im Zelt gibt es Bier und Apfelwein, Frankfurter Grüne Soße, Würstchen und Brezeln, Musik wird gespielt und es ist proppenvoll, es wird viel geredet und gelacht. Und mitten in diese Ausgelassenheit hinein sprechen Schriftsteller über Literatur, über Schreiben und Erinnerung. Zum 39. Mal wurde dieser älteste Stadtschreiberpreis jetzt vergeben, der freie Wohnung für die Dauer eines Jahres in Bergen-Enkheim einschließt. Eine Zumutung für die Schriftsteller? So lässt sich denken. Aber das Gegenteil ist der Fall: Man musste dazu am Freitagabend nur in die Gesichter von Thomas Lehr und Marcel Beyer sehen. Es ist ein großes Fest – für alle, auch für die Autoren.

Der eine, Thomas Lehr, erzählte von seinem Jahr in Bergen, von aufschlussreichen Fahrten mit dem Bus 43, von ethnologischen Studien bei Rewe und von der Ankunft einer Geschirrspülmaschine im Stadtschreiberhaus, An der Oberpforte 4. Als Mann der Worte hat Lehr zuerst die Gebrauchsanweisung studiert: „Gerät kennenlernen" stand da am Anfang. Der nach Berlin zurückkehrende Autor las jedoch versehentlich: „Gerät kann lernen". Was ihn noch einmal – und mit ihm nun auch das Zeltpublikum – zum Lachen reizte.

Von Marcel Beyer war zu erfahren, wie man Menschen am besten kennenlernt; beim Kofferpacken nämlich – respektive beim –auspacken. Bezeichnend sei just der Gegenstand, den man regelmäßig vergesse, in seinem Fall seien dies Wattestäbchen. Den Autor, der von der Jury nicht umsonst als „Fährtensucher" charakterisiert wurde, führte solcher Anfang zu einem Exkurs über DNA-Spuren auf Wattestäbchen und damit verbundenen Ermittlungspannen im Fall des Polizistenmords von Heilbronn. Phantasielosigkeit attestierte Beyer den Beamten und folgerte: „Geschichten, wie sie das Leben schreibt, sind schlechte Literatur." Das mag zwar nicht immer gelten, führt aber hin zum Literaturverständnis des neuen Stadtschreibers. Nachzutragen blieb zuletzt nur noch, dass er die Wattestäbchen diesmal eingepackt hatte.