Buchhandel in Essen, Wuppertal und Bonn

Keine Zeit für Platzhirsche

26. Februar 2015
von Börsenblatt
Thalia schließt Filialen in Essen, Wuppertal und Bonn – der Buchhandel geht deshalb nicht unter. Zwar schwindet die Buchpräsenz in der City, doch dafür halten individuell geführte Sortimente in den Stadtteilen die Fahne hoch. Eine Reise durchs Revier.

Essen-City

"Essen – die Einkaufsstadt" verkündet eine weithin sichtbare Leuchtschrift auf dem Hotel Handelshof, direkt am Eingang zur Kettwiger Straße, der traditionellen Einkaufszeile der Ruhrmetropole. Doch die einstige Prachtstraße des Ruhrgebiets muss um ihre Anziehungskraft kämpfen. Viele Kunden zieht es heute eher in die Einkaufszentren – etwa in das Rathaus Center oder in das im Oktober 2009 vollständig eröffnete Center am Limbecker Platz, ein karreeförmig angelegter Shopping-Moloch, der auf 70 000 Quadratmetern Platz für mehr als 200 Geschäfte bietet, darunter auch eine Filiale von Thalia.

Sie wird mit rund 1 000 Quadratmetern die einzige Thalia-Großfläche in Essen bleiben. Denn die Thalia-Filiale im Baedekerhaus (2 000 Quadratmeter) hat am 15. September ihre Pforten geschlossen. Schon vorher waren Teile des Sortiments, vor allem Fach- und Wissenschaftsbücher, ausgeräumt worden. In dem Laden an der Kettwiger Straße herrschte eine gespenstische Stimmung. Mit der Schließung geht eine fast 200-jährige Buchhandelstradition am Standort des Baedeker-Gebäudes zu Ende.

Baedeker, Anfang 2007 von Thalia übernommen, war einst der Platzhirsch an der Essener Einkaufsmeile. In vielen Segmenten wies die Buchhandlung einen Spezialisierungsgrad auf, wie er heute immer seltener im Sortiment zu finden ist. In der Philosophie-Abteilung etwa arbeitete noch der Typ des »gelehrten« Buchhändlers. Das Dilemma: »Die komplexe Sortierung der Buchhandlung – das ›Spezialistensortiment‹ – ist immer weniger nachgefragt worden«, sagt Agnes Wieland, Vertriebsgeschäftsführerin Buchhandel bei Thalia. Dadurch sei eine wichtige Basis für die Rentabilität weggebrochen.

Die negative Umsatzentwicklung, der die Kette offenbar nichts entgegenzusetzen hatte, brachte jetzt das Aus für die Traditionsbuchhandlung. Schon vor der Übernahme durch Thalia hatte es mehrere Besitzerwechsel gegeben – für Stabilität konnte keiner sorgen.

 

Im Shopping-Center sind die Perspektiven besser: Die Lage im gut frequentierten Einkaufszentrum bringt ausreichend Laufkundschaft in die Thalia-Filiale am Limbecker Platz – auch aus den umliegenden Kommunen Gelsenkirchen und Bottrop oder sogar vom Niederrhein, wie Filialleiterin Katrin Schlüter sagt. Das Center gehört zu den sechs Einkaufszentren, die aktiv von der Gesellschaft Ruhr Tourismus als Shopping-Ziele empfohlen werden. Vor allem am Wochenende sind hier ganze Busgesellschaften unterwegs.

In der Filiale selbst ist der Umbau des Sortiments in vollem Gange: Die Buchflächen wurden komprimiert, und ein großer Teil des Verkaufsraums ist nun mit verschiedenen Non-Books von Markenartiklern gefüllt: unter anderem mit Geschenken, Taschen und Schulranzen, einer DVD-Regalwand, Bürobedarf & Papeterie sowie einem großen Spielwarensortiment.

Ein ähnliches Bild bietet sich in der dreigeschossigen Filiale der Mayerschen am Markt (5 000 Quadratmeter) – unweit des Punkts, an dem Kettwiger und Limbecker Straße im rechten Winkel aufeinandertreffen. Der Aachener Filialist setzt wie Thalia auf eine Erweiterung des Non-Book-Angebots, um die Erträge seiner Großflächen zu verbessern. Eine ganze Spielwarenabteilung ist auf diese Weise im zweiten Obergeschoss entstanden – mit viel Fantasie, einem kleinen Karussell und – die Attraktion – mit einem Pippi-Langstrumpf-Pferd (»Kleiner Onkel«). Liebe zum Detail findet man auch in anderen Abteilungen des Buchkaufhauses: In der Esoterik-Abteilung rahmt eine Sitzgruppe einen kleinen Springbrunnen, und die Kochbuch-Zone fällt von Weitem wegen ihrer ungewöhnlichen Deckengestaltung auf.

Der unabhängige Buchhandel ist aus dem Essener Zentrum weitgehend verschwunden. Zu den Ausnahmen gehören die Altstadtbuchhandlung unweit des Rathauses oder die Heinrich-Heine-Buchhandlung am Viehofer Platz, am nördlichen Ende der Fußgängerzone. Ganz in der Nähe des Hauptbahnhofs liegt zudem eine Buchhandlung, die durch eine außergewöhnliche Ästhetik besticht: Proust Wörter & Töne. Doch auch das ausgesuchte Sortiment an CDs und Büchern – mit Belletristik, Sozial- und Kulturwissenschaften – macht die von Peter Kolling und Beate Scherzer geführte Buchhandlung zu einem besonderen Ort.

Präsenz zu zeigen ist eines der Rezepte, mit denen die beiden Buchhändler immer wieder neue Kunden gewinnen. Vor wenigen Tagen war Schriftsteller Marcel Beyer zu Gast – und am 18. September wurde im Grillo-Theater über die Occupy-Bewegung diskutiert. Auch im Internet ist Proust angekommen: Über den von Libri.de bestückten Webshop können die Kunden E-Reader und E-Books kaufen.

Essen-Steele

Sieht man von der City ab, in der viele Essener gar keine Bücher mehr einkaufen, ist das Vertriebsnetz in den Stadtteilen nach wie vor gut. Das zeigen Abstecher in zwei kleinere Sortimente, die hier pars pro toto stehen sollen – die Westhoffsche Buchhandlung Platzer in Steele und die Buchhandlung Schmitz in Essen-Werden.

Annemarie und Reinhard Platzer betrachten ihre Buchhandlung in der Steeler Paßstraße unterhalb des Laurentiusbergs als Lebensraum. Vor 32 Jahren haben sie den Laden übernommen – und fast alles so belassen, weder renoviert noch Altbestände remittiert. Beim Stöbern kann man hier deutsche Erstausgaben von Schriftstellern finden, die es nicht mal mehr im Taschenbuch gibt. Im Reclam-Regal stehen sogar noch Titel mit chamois-farbenem Umschlag aus den 1960er Jahren. »Wenn wir unsere Buchhandlung modernisiert und das Sortiment aktualisiert hätten, dann gäbe es uns wahrscheinlich nicht mehr«, sagt Reinhard Platzer. So aber hat man das besondere Erlebnis einer Zeitreise – mit Buchbeständen, die sonst allenfalls im Antiquariat zu finden sind. Genau dies ist auch der USP, das Alleinstellungsmerkmal der Platzers.

Essen-Werden

Vom Subzentrum Steele geht die Fahrt über Rüttenscheid (wo Thalia und die Mayersche mit je einer Filiale vertreten sind) nach Werden, wie Steelen ein sogenanntes Nebenzentrum. Unmittelbar in der Altstadt (Grafenstraße 44) hat Thomas Schmitz, in der Branche durch sein Magazin »schmitzkatze« und den neuen Kinderliteraturführer »Kilifü« bekannt, seine Buchhandlung. In seinen durch die Fachwerkarchitektur etwas verwinkelten Räumen bietet das Geschäft ein breitgefächertes Sortiment. Der Kinderbuch-Ableger Schmitz junior ist seit Juni in einem Ladenlokal am Werdener Markt untergebracht. Beide Geschäfte sind liebevoll eingerichtet, mit Fundstücken, die Thomas Schmitz zusammengetragen hat.

Schmitz, der in der Branche gut vernetzt ist und sich künftig mit seiner Agentur Erste Liga (http://buchhandeln.wordpress.com) stärker um Buchhandelsmarketing kümmern will, kennt die Szene in Essen genau: »Die lokale Versorgung mit Büchern läuft gut. In vielen Stadtteilen gibt es mindestens eine Buchhandlung, darunter auch Neugründungen.« Das je individuelle Profil der Buchläden sei die Garantie für den wirtschaftlichen Erfolg.

Das Beispiel Essen zeigt, dass der Buchhandel derzeit weniger von den Innenstadtlagen profitiert. Besser funktioniert die dezentrale Versorgung in den Stadtteilen und an der Peripherie, wo es stabile Kundenbeziehungen gibt, auch über Generationen hinweg.

Wuppertal

Während Essen in jüngster Zeit vom Nimbus der Kulturhauptstadt 2010 profitierte, sind die Strukturprobleme in der einstigen Textilhochburg Wuppertal wesentlich größer: Die Stadt ist überschuldet, die Arbeitslosenquote lag im August mit rund 12,2 Prozent deutlich über dem Landesdurchschnitt (8,2 Prozent).

Für das bergische Zentrum bedeuten die beiden Thalia-Schließungen daher einen tiefen Einschnitt. Mit der Filiale in der Rathaus Galerie und der erst im Herbst 2008 aufwendig eingerichteten Filiale in der Schlössersgasse büßt die Innenstadt von Elberfeld, dem einzigen Wuppertaler Ortsteil, der Großstadt-Status hat, ein großes Stück Buchhandels-Infrastruktur ein. Künftig gibt es in Elberfeld nur noch die unweit des Hauptbahnhofs gelegene Thalia-Filiale in den City Arkaden (rund 1 400 Quadratmeter Verkaufsfläche). Die Traditionsbuchhandlung Nettesheim hatte im Sommer 2008 aufgegeben, kurz bevor Thalia kam.

 

Einer der wenigen unabhängigen Buchhändler im Elberfelder Zentrum ist heute Michael Kozinowski, Inhaber der Buchhandlung v. Mackensen. Kozinowski, zugleich 2. Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft verlagsunabhängiger juris­tischer Buchhandlungen (AG VjS), spürt die schwindende Kaufkraft und den Rückgang der Bevölkerung kaum (1963: 432 000 Einwohner; 2011: 350 000). »Die Klientel, die ich mit meinem Fachsortiment bediene, ist stabil: Anwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer haben immer zu tun«, sagt Kozinowski. Rund 2 000 aktuelle juristische Titel hat er ständig am Lager. Den größten Teil des Umsatzes (rund 70 Prozent) erwirtschaftet der Fachsortimenter mit dem Rechnungsgeschäft.

Die Buchhandlung v. Mackensen hat sich allerdings mit ihrem Angebot längst an die Kundschaft angepasst: Im Geschäft gibt es auch eine große Auswahl an Belletristik, Reiseführern und Kinderbüchern. Mit dem E-Commerce ist Kozinowski ebenfalls zufrieden: »Der Verkauf von E-Readern und E-Books zieht deutlich an.«

Die Versorgung mit Büchern in Wuppertal ähnelt strukturell der in Essen: Während die zentralen Lagen Kundschaft verlieren, funktioniert der lokale Buchhandel in den Stadtbezirken: Überall gibt es mindestens ein unabhängiges Sortiment (unter anderem Köndgen in Barmen, das vom 26. bis 29. September sein 90-jähriges Bestehen feiert; Nettesheim in Cronenberg sowie die Ronsdorfer Bücherstube in Ronsdorf). In Barmen ist zudem die Mayersche mit einer Filiale vertreten.

Bonn

Bleibt noch das traurige Kapitel der angekündigten Schließung von Bouvier in Bonn nachzutragen. Die zu Thalia gehörende Universitätsbuchhandlung (Am Hof 28) liegt direkt gegenüber vom Hauptgebäude der Universität und ist nur wenige 100 Meter vom Bonner Marktplatz mit dem Alten Rathaus entfernt. Eine bessere Lage für eine Buchhandlung scheint es gar nicht zu geben.

Unmittelbar vor Ort gibt es jedoch Konkurrenz: Etwa 150 Meter von Bouvier entfernt (Am Hof 5a) liegt die Universitätsbuchhandlung Witsch & Behrendt, die zu Schweitzer Fachinformationen gehört. Auf der herausgefahrenen Markise wird neben dem Fachbuchangebot auch für Belletristik, Reiseführer und Kinderbücher geworben. Mit Bouvier gemeinsam haben dürfte sie das Problem, dass die Studenten »von nebenan«, aber auch viele Dozenten nicht mehr in die Buchhandlung kommen, um sich mit Lehrbüchern oder wissenschaftlichen Fachbüchern einzudecken.

Dass sich Bouvier zudem die sinkenden Fachbuchumsätze mit Witsch & Behrendt teilen muss, hat die Situation sicher nicht begüns­tigt. Die Option, sich stärker im Rechnungsgeschäft zu engagieren,  war am Ende keine mehr – denn Thalia hat seinen übergreifenden Medienservice, der die Firmenkunden bedient, im Oktober 2011 an Schweitzer verkauft.

Im Metropol am Bonner Marktplatz findet Thalia dagegen bessere, besondere Bedingungen vor: Das Ambiente im ehemaligen Lichtspielhaus, dessen Art-Déco-Innenarchitektur in frisch saniertem Glanz ­erstrahlt, vermittelt ein ungewöhnliches Einkaufsgefühl. Im ersten Stock – auf der alten Empore – sind einige Kino-Sitzreihen erhalten geblieben, die meist mit lesenden Schülern oder Studenten besetzt sind. Das Sortiment gleicht dem anderer Thalia-Großflächen – wie in Essen und Wuppertal ist auch hier das Non-Book-Angebot stark erweitert worden. Von Vorteil ist auf jeden Fall die Spitzenlage, die beinahe automatisch für kontinuierlichen Kundenzufluss sorgt – darunter viele Touristen, die ein Andenken an ihren Bonn-Besuch erstehen wollen.

 

Thalia-Schließungen
Essen: Thalia im Baedekerhaus (2 000 Quadratmeter) hat am 15. September 2012 geschlossen.
Wuppertal: Thalia in der Rathaus Galerie (350 Quadratmeter) schließt zum 31. Dezember 2012; Thalia in der Schlössersgasse (im Kaufhaus Peek & Cloppenburg) wird am 31. Januar 2013 geschlossen.
Bonn: Die Universitätsbuchhandlung Bouvier (2 000 Quadratmeter), Am Hof 28, wird zum 31. August 2013 geschlossen.

 

Michael Roesler-Graichen