Buchmarketing

Ochsentour durch Frankfurt

20. September 2012
von Börsenblatt
Der Verleger Axel Dielmann hat mit dem Erstlingswerk der Autorin Gabriele Seynsche eine 19-Stationen-Lesetour durch Frankfurt veranstaltet. Das Ergebnis: 600 Bücher verkauft, zwei Firmen prüfen die Verfilmung des Romans - und kaum Interesse seitens regionaler Sponsoren. Ein Bericht des Verlegers.

Als ich vor einem Jahr den Autoren-Vertrag mit Gabriele Seynsche über ihren Erstlings-Roman "Café Carl / Lauter ganz normal Verrückte" zeichnete, war mir mehreres klar: Das Buch hatte die Qualitäten eines mindestens kleinen Sellers, wenn es grundsätzlich vom Publikum wahrgenommen würde; der Roman bot thematisch und erzählerisch solche Eigenschaften, die ihn unter Umständen für weitere Verwertungen, bis hin zu Verfilmung, geeignet erscheinen ließen; die Autorin hatte Lust, eine oder gar zwei Fortsetzungen zu schrieben, und ihre Erzählung und die Figuren waren so angelegt, dass sie dies tragen würden.

Es kam die Idee auf, als Marketing-Maßnahme den Roman in Frankfurt, wo er in einem fiktiven Kaffeehaus spielt, kapitelweise vollständig vorlesen zu lassen. Cafés als Lesungsorte, Buchhandlungen, Weinläden, einige ungewöhnliche, Neugierde weckende Plätze. Als Verleger wollte ich die Sache begleiten und mit fortschreitender Lesungstournee erzählen, "Was bisher geschah!", die Büchertische betreuen, zu neugierige Groupies abwimmeln, zu schwach Interessierte anheizen … Die Autorin fand, was wir da halb im Spaß projektierten, reizvoll. Also los.

Was ich 1993 und 1994 mit Alban Nikolai Herbst und seinem großen Roman "Wolpertinger oder Das Blau" erstmals eingerichtet hatte, eine 34-Stationen-Lesung des gesamten Buches in ein und derselben Stadt, galt damals als No-Go (Keine zweite Lesung mit einem Buch in einem Jahr in einer Stadt! lautete die Branchengewissheit), und es gelang damals sehr knapp in Frankfurt und mit ach und Krach noch einmal in Berlin – jetzt rief das amüsierte Verwunderung, vor allem unmittelbare Lust an der Beteiligung und Einbindung hervor: Die Mit-Veranstalter in den Locations waren freundlich, vor allem beherzt schnell entschlossen, mit uns zu kooperieren. Einziges Handycap: die neue, bis dahin unbekannte Autorin konnte nur mageren Honoraren für die 19 Abende entgegensehen – aber sie akzeptierte dies als Investment in ihren Erstling.

Elend sah es jedoch mit insgesamt 90 angesprochenen, meist regionalen Sponsoren aus, also thematisch naheliegenden Branchen (Kaffeeröstereien, Gastro-Dienstleistung, Hotellerie, Catering, Taxigewerbe): Während ich seit bald 20 Jahren mit Literatur-Sponsoring auf nationaler Ebene beste Erfolge verzeichnen kann (Reihe Etikett mit Partnern für Romane, Erzähl- und Gedichtbände wie Commerzbank, Carl Zeiss, SAP, Wyeth Lederle Pharma, Fisherman’s Friend und vielen anderen), war hier wenig zu gewinnen. Die Hoffnungen, die ich in diesen Einnahmebereich für die Lese-Tour mit "Café Carl" und Gabriele Seynsche gesetzt hatte, diese Erwartungen an Sponsoren-Beiträge haben sich nicht eingelöst.

Dazu sind lokal oder regional agierende Sponsoren nicht mutig genug, einen einstweiligen No-Name für sich wirken zu lassen, wohingegen überregionale Partner und Marken zu wenig an der regionalen Aktion interessiert sind – hier wären jedoch sicher, wollte man diese Art der Buch-Bewerbung verlängern, noch neue Konzepte zur Sponsorengewinnung entwickelbar – hätte ich dies genauer abgesehen, wäre ich vermutlich nicht an die Tour-Vorbereitungen herangegangen, denn Sponsoreneinnahmen waren kalkuliert. Aber der werbliche Effekt für das Buch war verlockend, auch die Aussicht, dass es sich hier um eine schnell greifende, zu unmittelbarem Umsatz führende Maßnahme handelte war ein Argument – und manchmal ist es gut, (fast) blind loszulaufen; denn ich hätte es sehr bereut, hätte ich diese Tour nicht unternommen.

Wir haben bei den 19 Lese-Stationen insgesamt 261 Bücher verkauft, das Gros davon direkt, also zum vollen Ladenpreis und in eigene Kasse, die übrigen in den beiden Buchhandlungen, die sich liebenswerterweise in die Tour einreihen ließen, und in der Buchhändlerschule. Zudem haben wir, was für unsere Verhältnisse eines kleineren Literatur-Verlages fein ist, in den Frankfurter Buchhandlungen rund 280 Exemplare platziert – mit RR bis über die Buchmesse hinweg und mit erhöhtem Rabatt, man wird sehen, was davon weggeht, die ersten Rückmeldungen und sogar ersten Nach-Orders lassen allerdings Günstiges hoffen. Nicht alle Buchhändler, die geordert hatten, hatten das Plakat und die Bücher dem absehbaren öffentlichen Interesse gemäß (es waren 12.000 Flyer und 1.400 Plakate in der Stadt unterwegs) platziert, und es gibt – wen wundert es? – eine überdeutliche Korrelation zwischen dieser vorsichtigen Platzierung und den Nachorders …

Es gab großartige Veranstaltungen; es gab schwach besuchte Auftritte. Durchschnittlich waren 36 Gäste zugegen – für eine literarische Lese-Serie mit einer Debütantin innerhalb einer Stadt respektabel. Sensationell eine der Lesungen (Weinhandlung Maison Lanz von Martin Bullinger) mitten in der Tour, die mit 67 Gästen die Weinhandlung sprengte und für alle Beteiligten ein großer Gewinn in punkto Vergnügen wie auch wirtschaftlich war. Böse Schlappe dagegen, als wir samstags um 16 Uhr, es ist schwül in Frankfurt und das Museums-Ufer-Fest zieht Hunderttausende von Besuchern an, im wundervollen großen Varieté-Theater "Tigerpalast" antreten: 190 Plätze im Saal sind vorbereitet von einer 10-köpfigen Mannschaft liebenswert bemühter Saal-Chefs und Techniker an Mikro und Beleuchtung – und dann kommen, trotz rund 60 fest angemeldeten Leuten, nur schlappe (pardon, sie waren alle, alle sehr sympathisch!) 29 Gäste. Es gibt, auf solch einer hochprofessionellen Bühne stehend, Momente, da möchte man durch die Bretter, die die Welt bedeuten, hindurch einfach im Erdboden versinken.

Dann aber wiederum die Buchhändlerschule Mediacampus im ersten Drittel der Tour, wo 40 junge Buchhändler neben externen Gästen begeistert waren und das Buch freudig auf- und in ihre Ausbildungsbuchhandlungen mitnahmen und weit über eine Stunde angestachelt diskutierten. Oder das Willy Praml Theater / Naxosfabrik mit seiner Theateratmosphäre. Gruselig, dass die Sachsenhäuser Traditions-Buchhandlung Naacher, in der immerhin 48 Gäste lauschten und gut kauften, zwei Wochen später endgültig schließen musste. Glänzend dagegen der Abend bei Frau Schleindl aus der Buchhandlung Schutt, dem zweiten Sortimenter auf unserer Tour, die durch uns mit rund 30 neuen Kunden in Kontakt kam.

Dann geschieht am Morgen vor der drittletzten Station etwas Fulminantes: Eine Anfrage nach Prüf-Exemplar von einer (Kino-) Filmproduktion kommt per Mail! Und – Trommeln gehört ja zum Handwerk –: im Überschwang erzähle ich am Abend von dem Ereignis – und prompt kommt einer der Gäste auf mich zu, gibt sich als Medien-Vertreter zu erkennen, der unbedingt einen Kontakt zu einer anderen, diesmal TV-Filmproduktion machen möchte … Und er machte ihn tatsächlich! So dass nun zwei Filmfirmen das Buch prüfen. – Das sagt noch lange nichts. Aber wie oft kommt es vor, dass ein Frischling nach einem Monat solche Aufmerksamkeit erfährt? Unter demnächst 400 Titeln in 19 Jahren ist dies sieben Büchern widerfahren, die zu 5 Optionsverträgen führten, fast immer waren da aber bereits etliche Jahre seit ihrem Erscheinen vergangen.

Wir haben für das Buch und die Tour eine breite Spanne von Medien-Resonanzen erhalten. Einen heftigen Verriss gab es für die Start-Lesung in der "FAZ", allerdings netterweise im nationalen Feuilleton, was schlicht heißt: Wahrnehmung des Titels und des Namens der neuen Autorin; einer charmanten halben Seite FR, einem Clip bei Rhein-Main-TV, etlichen kleineren Besprechungen und Ankündigungen sowie reihenweise Facebook- und sonstigen Social-Media-Nennungen. Das alles hat – unterdessen 5 Wochen nach Auslieferung des Buches – regional zusätzliche Direktverkäufe und Buchhandelsbestellungen ausgelöst. Und peu à peu kamen bereits in Vorbereitung und Durchführung der Tour nächste Anfragen nach Lesungen, die sich absehbar zu einer zweiten Tour (im westlichen Frankfurt, Taunus bis Wiesbaden) konstellieren oder einzeln durchführen lassen.

Der unmittelbare Kontakt mit den Hörern und Lesern war für unser Marketing und grundsätzliche PR-Pläne höchst aufschlussreich, so zum Beispiel für das 2013 anstehende 20-jährige Verlagsjubiläum. Die Erlebnisse auf der Tour waren erhellend für die Programm-Planung und den Umgang mit Social Media. Unsere kleine Verlagsmannschaft (-frauschaft) hat der Tripp durch Frankfurt und seine Plätze erfreulich zusammengeschweißt. Für die Kalibrierung unserer Sponsoren-Ansprache war die Tour ein wichtiger Prüfstein. Für die Wahrnehmung des Verlages, der Debütantin Seynsche, des Buches "Café Carl", besonders auch einiger anderer aktuell erscheinender Autoren und Bücher (wie Hans Haverkampf, Ex-Baudezernent Frankfurts, mit seiner exzellenten Novellen-Sammlung "Meercazzing"), die wir en passant kräftig mitbewerben konnten, war es brillant.

Und also: Betriebswirtschaftlich zunächst ein böse knappes Unverhältnis zwischen (Gesamt-)Aufwand und eingespieltem Verkaufserlös. Nicht unerhebliche Auslagen (Flyer, Plakate, Porto) und drei bis vier Mann-Wochen Vorbereitungsarbeit stehen zunächst gerade einmal 600 einverkauften Exemplaren gegenüber. Was aber letztlich – wie gesagt: bei kleiner Verlagsmaschinerie – das Buch in die Nähe der Deckungsauflage brachte. Und mehr noch in dem, was kleinere, unabhängige Verlage nach wie vor am Leben hält: in der Mischkalkulation war es durchaus ein Erfolg, schon gar wenn ich es längerfristig betrachte und die "weichen Faktoren" wie Imagebildung und "Insider-Talk" mitrechne!

Eindeutig war etwas zu spüren, das schon immer ein heikler, hybrisbehafteter Begriff gewesen sein mag: der Verleger-Bonus. Diese Lesungen persönlich, von der ersten bis zur letzten Station, zu begleiten, war extrem wichtig. Die Serie bekam hierdurch Verbindlichkeit, es konnten wichtige Nebeninformationen lanciert werden. Aktiv als Verlagsvertreter nach draußen zu gehen war schon von den Buchhändlern am Mediacampus gefordert worden, die Gesamt-Tournee hat die Wichtigkeit dieser Präsenz spürbar gemacht.

Social Media hätten wir erheblich stärker einsetzen können – und eigentlich müssen. Wir hatten uns aus Zeitmangel darauf beschränkt, zu jeder zweiten Veranstaltung über unsere Verlags-Facebook-Seite (rund 1.000 Freunde) einzuladen. Die Autorin ihrerseits hatte ihre Facebook-Site genutzt und über Xing versandt. Dreifach haben wir vor und während der Tour Mailings an unseren Verlagsverteiler mit rund 9.500 Mailadressen versandt, am Montag nach der Tournee ein viertes mit einem Rückblick.

 

Die Nachwehen haben unterdessen noch andere Dimensionen angenommen, und auch dies, meine ich, zeichnet unsere Branche aus: Kaum hatte die Autorin Anke Jablinski, deren Debüt ich im Frühjahr verlegt hatte, von unserer Tour in Frankfurt gehört, kam sie auf die Idee: Das will ich auch! Ihr autobiographischer Berlin-Roman "Klettermaxe" um eine schlimme Kindheits-Traumatisierung und ihre Auflösung durch das Klettern auf Häusern bot sich, meinte Anke Jablinski, exzellent für eine weiter Lese-Tour an, in ihrer Stadt, in Berlin. – Nach Kalkulationen wie den oben ausgewerteten, nach langem Diskutieren in der Verlagsmann(frau)schaft war klar: einmal mehr die Ochsentour, auf nach Berlin!

 

Ein Interview mit Axel Dielmann lesen Sie in der heutigen Börsenblatt-Ausgabe 38.