Gastspiel

Von der Unsichtbarkeit

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Übersetzungen fallen nicht vom Himmel – auch wenn Verleger, Buchhändler und Kritiker oft so tun. Von Isabel Bogdan.
Vor Kurzem war Harry Belafonte in Deutschland, um seine Autobiografie vorzustellen ("My Song", Kiepenheuer & Witsch), unter anderem im Hamburger Rolf-Liebermann-Studio. Christian Brückner las den deutschen Text, Christoph Amend moderierte. Harry Belafonte lauschte konzentriert, als Christian Brückner ein Stück auf Deutsch vortrug, verstand aber offenbar kein Wort. Als Brückner fertig war, sagte Belafonte: "Wow, das klang toll, wer hat das denn geschrieben?", und die drei Männer scherzten ein wenig darüber, dass ein Text von Harry Belafonte eben toll klingt, zumal dann, wenn Christian Brückner ihn vorträgt, und machten einander Komplimente.

Nun ist der deutsche Text ja in der Tat nicht von Harry Belafonte. Dennoch kam keiner der drei auf die Idee, dass dies der Moment gewesen wäre, um die Urheber des deutschen Textes zu nennen, nämlich Kristian Lutze, Silvia Morawetz und Werner Schmitz. Was ja die naheliegende und einzig richtige Antwort auf die Frage "Wow, who wrote that?" gewesen wäre.

Ich will hier gar nicht so sehr diese drei Männer an den Pranger stellen, sondern halte die Situation für symptomatisch. Dass zwischen dem fremdsprachigen Autor und dem deutschen Publikum noch jemand eine beträchtliche Menge Arbeit und Kompetenz in ein Buch gesteckt hat, wird nach wie vor allzu oft übersehen. Und zwar von Lesern, Buchhändlern, Verlagsmitarbeitern und Rezensenten gleichermaßen – selbst von professionellen Literaturkritikern liest man immer wieder epische Lobeshymnen über die wunderbar poetische Sprache einer Autorin, als hätte sie auf Deutsch geschrieben. Es muss ja nicht immer gleich eine große fundierte Übersetzungskritik sein, aber sobald von der Sprache eines solchen Buchs die Rede ist, müsste der Übersetzer doch zumindest Erwähnung finden.

Aber wie kommt das? Warum sind wir so unsichtbar? Bei keinem Hörbuch wird der Sprecher vergessen. Er steht groß auf dem Cover, er wird bei jeder Erwähnung des Hörbuchs genannt, keine Buchhändlerin und kein Blogger würde es versäumen, seinen Namen zu nennen. Den Namen des Übersetzers kennen sie nicht mal, er steht allzu oft irgendwo im Kleingedruckten.

Selbst in der Verlagswerbung liest man: "… ist jetzt bei uns auf Deutsch erschienen". Ach ja? Uns ist eine Übersetzung erschienen, Halleluja? Nein, ist sie nicht! Die Übersetzung ist doch nicht vom Himmel gefallen. Da hat jemand monatelang Herzblut und Hirnschmalz hineingesteckt. Und als Leserin möchte ich wissen, wer das war, denn ich weiß, dass ich die Übersetzungen mancher Kollegen sehr gern lese und von anderen lieber die Finger lasse. Genauso, wie ich manche Autorinnen gern lese und andere nicht.

Dabei könnten Verlage den Namen des Übersetzers doch beispielsweise auch als Marketinginstrument einsetzen; warum passiert das so selten? Warum kennen Leser fast keinen Übersetzernamen? Es gibt natürlich auch Ausnahmen. Ein paar Verlage schreiben den Übersetzer inzwischen vorne aufs Cover – hervorragend! Auch gibt es natürlich Kritiker, die die Leistung des Übersetzers in ihren Besprechungen angemessen unterbringen.

Wir Übersetzer tun ebenfalls, was wir können. Wir gehen raus, erzählen vom Übersetzen, machen Lesungen. Übrigens können wir auf Lesungen etwas, was Autoren nicht können: Wir können von dem Buch, das wir vorstellen, einfach hemmungslos begeistert sein.