Friedenspreis des deutschen Buchhandels

"Deutschland ist meine geistige Heimat"

26. Februar 2015
von Börsenblatt
Als sich Friedenspreisträger Liao Yiwu heute auf der Buchmesse den Fragen der Presse stellte, hatte er ein großes Kompliment an sein Gastland dabei. Und eine kritische Botschaft an das Nobelpreiskomitee in Stockholm.

Dass ausgerechnet sein Landsmann Mo Yan mit dem Literaturnobelpreis 2012 ausgezeichnet werde, habe ihn und viele andere regimekritische Chinesen irritiert, so Liao Yiwu, der am Sonntag mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wird.

Zwar gebe es viele verschiedene Kriterien für einen guten Schriftsteller, doch Mo Yan sei ein staatstreuer Autor, habe vor kurzem noch eine Veranstaltung mit 100 Schriftstellern zu Ehren Maos organisiert. Er selbst definiere seine Rolle als Autor anders, machte Liao Yiwu deutlich: "Für mich kommt an erster Stelle die Wahrheit - und an zweiter Stelle die Literatur".

China und Deutschland: Hier sieht der Friedenspreisträger, der seit 2011 in Berlin lebt, vor allem einen Verbindungspunkt: Das Jahr 1989. Während auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking die Panzer rollten, fiel in Berlin die Mauer - ohne Blutvergießen. "Was für eine Wandlung in diesen beiden Ländern", so Liao Yiwu, der nicht zuletzt die "wunderbare Erinnerungskultur" in Deutschland lobte: Weder die NS-Zeit noch die Stasi-Vergangenheit seien heute Tabuthemen, überall in Berlin finde man Denkmäler oder die so genannten Stolpersteine als Zeichen der Erinnerung: "Deutschland ist meine geistige Heimat – hier fühle ich mich aufgehoben, hier sind die Leser meiner Werke", sagte Liao Yiwu und bekam dafür sponanten Beifall.

Der Börsenverein ehrt mit Liao Yiwu einen Schriftsteller "der sprachmächtig und unerschrocken gegen die politische Unterdrückung aufbegehrt und den Entrechteten seines Landes eine weithin hörbare Stimme verleiht", wie es in der Begründung der Jury heißt. Für sein Gedicht "Massaker", unmittelbar vor den gewaltvollen Ereignissen im Juni 1989 verfasst, wurde der chinesische Autor verhaftet. Von der Zeit im Gefängnis erzählt sein Buch "Für ein Lied und hundert Lieder", das Manuskript wurde dreimal beschlagnahmt - Liao Yiwu hat es dennoch immer wieder neu geschrieben. 

Woher nahm er die Kraft dazu? Seine Antwort auf der Buchmesse: "Die Ängste in meinem Herzen haben mir die Kraft gegeben". Größer als die Angst vor dem Tod sei die Angst gewesen, von der Gesellschaft vergessen zu werden. Diese Angst teile er mit den Menschen, die er für sein aktuelles Buch "Die Kugel und das Opium. Leben und Tod am Platz des Himmlischen Friedens" befragt habe.

Die Preisverleihung, die am Sonntag in der Frankfurter Paulskirche stattfindet, wird ab 11 Uhr von der ARD übertragen. Die Laudatio hält Felicitas von Lovenberg (F.A.Z.). Der Börsenverein bündelt alle Reden in einer Broschüre, die am 29. Oktober erscheint. Tagesaktuelle Eindrücke vom Festakt am Sonntag hier auf boersenblatt.net.

Auf der Buchmesse selbst macht die Friedenpreisausstellung „Widerreden“ in Halle 5.0, A 965 Station. Dort sind auch Faksimiles von Liao Yiwus  Manuskripts  zu  „Für ein Lied und hundert Lieder“ zu sehen –  51 Seiten, dicht beschrieben. Ebenfalls Teil der Ausstellung: Eine Arbeit des Künstlers Meng Huang. Er hat die drei typischen Fragen, die chinesische Häftlinge jeden Tag gestellt bekommen, auf eine Gefängnismauer geschrieben und fotografiert: Wer sind Sie? Was für ein Ort ist das? Aus welchem Grund sind Sie hier?