Friedenspreis

"Wie ein Traum"

26. Februar 2015
von Börsenblatt
Von der Paulskirche nach Leipzig: Die Begegnung mit Friedenspreisträger Liao Yiwu beschwört am Ausgangsort der Friedlichen Revolution große Emotionen – und die Erinnerung an den Herbst 1989. Ein denkwürdiger Abend.

Es ist mehr als eine Verbeugung vor der alten Buchstadt, inzwischen eine gute Tradition: Wenige Tage nach der Verleihung in der Paulskirche bringt der Börsenverein seinen Friedenspreisträger auf die Bühne des Alten Rathauses in Leipzig. Diesmal nicht nur ein "back to the roots"; an diesem Ort bekam der Abend mit Liao Yiwu eine besondere emotionale Aufladung: Für viele im vollbesetzten Festsaal, das machten bereits Oberbürgermeister Burkhard Jung und Verleger Helmut Stadeler in ihren Begrüßungsworten klar, beschwor die Begegnung mit dem unerschrockenen chinesischen Schriftsteller noch einmal die Bilder des ostdeutschen Wende-Herbstes: Wer damals auf die Straße ging, hatte die Bilder vom Pekinger Tiananmen-Platz im Kopf und musste fürchten, dass die SED-Oberen auch in der abgewirtschafteten DDR zur "chinesischen Lösung" griffen. Nicht umsonst wurde der Ruf "Keine Gewalt!" zu dem Slogan der Friedlichen Revolution im Osten.

 

In Leipzig sprach Stephan Detjen (Deutschlandfunk) mit Liao Yiwu über dessen Leben, die Flucht aus China und die Verwandlung vom Drangsalierten, Verfolgten zum im Exilland hoch Geehrten. "2009 durfte ich nicht zur Buchmesse nach Frankfurt ausreisen, letzte Woche saß ich mit ihrem Bundespräsidenten im Auto; er hat die ganze Zeit meine Hand gehalten." Eine Verwandlung, für die Liao Yiwu ein chinesisches Sprichwort einfällt: "Das Leben ist wie ein Traum." Nein, kein Traum: Die aufrüttelnde Friedenspreis-Dankrede kursiert in China bereits als mp3-File. "Sehr, sehr verwirrt" über das "diffuse westliche Werte-System" zeigt sich der höfliche Liao Yiwu angesichts der Vergabe des Literatur-Nobelpreises an den "Staatsautor" Mo Yan. Gefragt, wie sich das Verhältnis zu seinen Peinigern entwickelt habe, ob er ihnen gegenüber nicht Hass empfinde, noch immer, spricht Liao Yiwu über die Bewältigung seiner traumatischen Erlebnisse durchs Schreiben: Worte könnten die erlittenen Demütigungen nicht ungeschehen machen, helfen jedoch, "die innere Freiheit wiederzugewinnen".

 

Ist seine Sprache dabei, wie er selbst es empfindet, "etwas steiniger" geworden? Das gebannt lauschende Publikum ist eher vom Gegenteil überzeugt, von der impressiven Kraft dieser Sprache überwältigt. Der Schauspieler Florian Lukas las aus Liao Yiwus Buch "Für ein Lied und hundert Lieder" (S. Fischer), in dem der Autor seine Erlebnisse im Sommer 1989 und in der anschließenden Haftzeit schildert. Für Liao Yiwu ein überraschendes Wiedersehen: In der Rolle des Dennis aus dem Kinofilm "Goodbye, Lenin!", der in China erfolgreich lief (und dort heute als Raubkopie massenhaft zirkuliert), ist Florian Lukas im Land der aufgehenden Sonne ein Star – und eben auch Liao Yiwus persönlicher Leinwand-Held. Erst Gauck, nun Lukas: Ist das Leben am Ende doch ein Traum?  

nk