Antiquariat

Pictorial Literature bei Sabine Keune

29. Oktober 2012
von Börsenblatt
In zwei sorgfältig gestalteten Katalogen bietet die Duisburger Antiquarin Sabine Keune Bilderbücher aus der Sammlung Martin Kaiser an. Eine Besprechung von Friedrich C. Heller.

In bisher zwei Katalogen bietet Sabine Keune "Bilderbücher aus der Sammlung Martin Kaiser" an. Beide Kataloge stehen unter dem Übertitel "Pictorial Literature" und beziehen sich damit auf eine Wortprägung des bekannten Bilderbuchkünstlers Roger Duvoisin, der Illustration mit diesem anspruchsvollen Begriff charakterisierte.

Tatsächlich erhält man ja, wenn man Bilderbücher gerade der letzten 60 Jahre betrachtet, den Eindruck, einer ganz eigenen Kunstgattung zu begegnen, die zwar auf vielfältige Weise die künstlerischen Tendenzen, Stile und Herausforderungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgreift und als eine Form der Buch-Kunst verarbeitet, die aber gerade deshalb auch mit dem 'Objekt Buch' ganz eigenwillige und oftmals ungewöhnliche und neuartige Möglichkeiten der Gestaltung ausprobiert. Das geht sehr oft über die Anforderungen und Grenzen der Illustration (die letztlich immer in einem Verhältnis zum vorgegebenen Text steht) hinaus und manifestiert sich in einer Kunstgattung, für die, solange wir kein besseres Wort finden, der Begriff der Buch-Kunst angemessen erscheint. Es ist Kunst, die das Medium Buch in all seinen Möglichkeiten einsetzt und die deshalb auch primär mit den ästhetischen Maßstäben der Buch-Kultur beurteilt werden sollte (und erst dann, wenn überhaupt, mit pädagogischen, psychologischen, sprachwissenschaftlichen Kriterien).

Martin Kaiser, aus dessen Sammlung diese Bilderbücher hier angeboten sind, lehrte in seinem Brotberuf als Altphilologe. Das mag seinen Blick auf die Kulturen unterschiedlicher Sprachen gelenkt haben. Vor allem aber ist er offenbar ein "geborener und lebenslanger" Sammler, ein leidenschaftlicher "Heranzieher" von Kunst und Wissen, begierig, diese Beispiele menschlicher Kreativität in unzähligen Formen sich erlebbar zu machen. Seine Sammlung ist international, sie enthält Bilderbücher aus allen möglichen Ländern, und man kann die unvergleichliche Faszination verstehen, die sich aus solcher künstlerischen Vielfalt ergibt. Überhaupt gewinnt man beim Durchblättern dieser beiden Antiquariatskataloge – und vor allem: wenn man Bücher aus dieser Sammlung erworben hat! – den Eindruck, Kaisers Sammlung sei so etwas wie eine vulkanische Stätte, in der Bilderbücher in steter Bewegung der Auseinandersetzung sich befinden, eine Zentrale leidenschaftlichen Engagements. So erscheint es nur konsequent, wenn Martin Kaiser sich von zahlreichen Büchern wieder trennt. Seine Sammlung ist eine "Collection in motion", ein Ort, wo herangezogen, geliebt und verabschiedet wird. Hinaus ins Leben! Und in andere Sammlungen!

Wer Bücher aus dieser Sammlung erwirbt, weiß, dass er da Kaisers Namen irgendwo finden wird, entweder ausgeschrieben (manchmal auch in griechischen Lettern), manchmal nur als Signatur MK, manchmal offenkundig, manchmal listig versteckt. Man findet auch ausgeschnittene Notizen beigelegt, manchmal Bleistift-Übersetzungen fremder Wörter – alles zeugt vom heftigen, aktiven, denkenden Umgang des Sammlers mit seinen Büchern. Und so leben diese Zeugnisse dann in anderen Sammlungen fort: Habent sua fata...

Was in den bisher zwei Antiquariatskatalogen angeboten ist, stellt sich wahrhaft als ein ungemein farbiger, vielseitiger, schwer fassbarer Rundgang durch die zeitgenössische internationale Bilderbuchkunst dar. Da wimmelt es von bekannten Künstlernamen, aber auch von solchen, die man erst entdecken muss. Sabine Keune hat ja schon vor Jahren sich entschlossen, Bilderbücher nicht nur aus dem deutschsprachigen Raum in ihre Kataloge aufzunehmen, zum Vorteil ihrer Kunden, die da viel lernen können, was ja gerade auf diesem quasi unbegrenzten Gebiet immer weiter nötig ist. So ist man auch in den beiden Kaiser-Katalogen dankbar für die kommentierenden Angaben: wenigstens die Eckdaten der Künstler sind zumeist mitgeteilt, Besonderheiten des Buches oder der künstlerischen Eigenart formuliert – freilich möchte man oft mehr Informationen erhalten und spezifischere, um einen ersten, die Kaufentscheidung fördernden Eindruck von dem Buch zu gewinnen (aber wer könnte angesichts dieser Vielfalt das alles bewältigen?). Da nimmt man dankbar auch die farbigen Abbildungen als Hilfe.

Der Blick reicht zurück bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts – gerade hier finden wir auch einige (durch nun schon lang währende Berühmtheit "kanonisierte") Zimelien (V. Preissig, H. Abeking, V. Lebedev, O. Laske, W. Trier, W. Disney…), alle im vierstelligen Preisbereich. Hervorheben möchte ich in Katalog 49 die Nr. 161: Konrad Mullerfurers "Uit Huis en Hof" (Utrecht 1921), eine Entdeckung deshalb, weil Sabine Keune den bisher nicht identifizierbaren (anscheinend niederländischen?) Künstler mit dem Deutschen Konrad Müller-Fürer gefunden zu haben scheint, der im Umkreis von Elizabeth und Isadora Duncan wirkte. Sein Bilderbuch gehört nach meinem Dafürhalten zu den eindrucksvollsten Beispielen einer durch höchste Farbdruckqualität beispielhaften, im formalen Bereich ungemein rhythmischen und expressiven Buchkunst der frühen 1920er Jahre.

Neben solchen gesuchten Büchern finden wir aber zahllose wunderbare Bilderbücher, von Alphabeten und typografischen Büchern bis zu Sachbüchern, von Märchen bis zu fantastischen oder kuriosen Geschichten – alle in Fülle und unvergleichlicher Verschiedenheit und zu angemessen moderaten Preisen. Es fällt schwer, sich hier für eine bestimmte "stilistische" Richtung der Bilderbuch-Kunst zu entscheiden, man fühlt vielmehr die Faszination, die der Sammler Martin Kaiser in dem kaum überschaubaren Reichtum erfahren haben muss – und diese Faszination springt über. Mir ist klar, dass das zeitgenössische Bilderbuch, noch dazu in seiner multinationalen Erscheinung, für viele Sammler einen Bereich darstellt, dem sie vorsichtig und zögernd entgegentreten: hier fehlen vielfach die vorgefertigten Kriterien. Aber gerade diese Abenteuerlichkeit, die diesen beiden Katalogen (und hoffentlich noch weiteren) innewohnt, reizt doch ungemein, fordert heraus und öffnet neue Horizonte. Das ist allemal ein großer Gewinn!
Friedrich C. Heller

Antiquariat Sabine Keune, 47226 Duisburg (Tel. 02065/59619; S.Keune@t-online.de). Katalog 47. Herbst/Winter 2011: Pictorial Literature. Bilderbücher aus der Sammlung Martin Kaiser. 339 Nrn. – Katalog 49. Herbst/Winter 2012: Pictorial Literature – Zweite Folge. 237 Nrn., zahlreiche farbige Abbildungen, Schutzgebühr; vollständiges PDF unter: