Bibliotheken

Umstrittener Verkauf der Gymnasialbibliothek Stralsund

8. November 2012
von Börsenblatt
Seit Tagen bewegt der Verkauf großer Teile der historischen Gymnasialbibliothek aus dem Stadtarchiv Stralsund an den Antiquariatshandel die Gemüter. Oberbürgermeister sagt Überprüfung zu, Einschätzung des Vorsitzenden des Verbands Deutscher Antiquare.

Die Hansestadt Stralsund hat vor einigen Monaten einen großen Teil – es handelt sich um mehrere tausend Bände – der in ihrem Stadtarchiv verwahrten alten Gymnasialbibliothek an den Antiquariatsbuchhandel veräußert (Haupt- oder sogar Alleinerwerber ist der Antiquar Peter Haßold in Dinkelscherben bei Augsburg). Unter Fachleuten löst die erst jetzt bekannt gewordene Zerstörung eines historisch bedeutsamen Ensembles einhellige Empörung aus. Die genauen Hintergründe sind derzeit ungeklärt. Eine aktuelle Zusammenfassung der Vorgänge findet sich unter dem Schlagwort "Causa Stralsund" in Klaus Grafs Blog "Archivalia" ("Übersicht zur Causa Stralsund - Fakten und Bewertungen"). Bislang ist die Stadt als Verkäuferin den dort erhobenen massiven Vorwürfen nicht öffentlich entgegengetreten oder hat ihre Entscheidungsmotive begründet.

Alexander Badrow, Oberbürgermeister Stralsunds, hat inzwischen aber in Folge des entstandenen erheblichen politischen Drucks eine Überprüfung der Vorgänge zugesichert: "Die im Zusammenhang mit der Verkaufsentscheidung von den Fachleuten unserer Einrichtung vertretene Auffassung wurde dabei teilweise in Frage gestellt. […] Da ich eine fachliche Beurteilung hinsichtlich des betreffenden Buchbestandes nicht selbst vornehmen kann, hole ich eine unabhängige Fachmeinung von außen ein."

Christian Hesse, Auktionator in Hamburg und seit Jahresbeginn Vorsitzender des Verbands Deutscher Antiquare, gibt auf Anfrage der Redaktion Antiquariat eine zurückhaltende Einschätzung des Sachverhalts: "Da ich die rechtlichen Hintergründe in besagtem Fall Stralsund nicht kenne, möchte ich mich allgemein zu dieser Problematik äußern. Wenn sich öffentliche Sammlungen von Beständen trennen, müssen die rechtlichen und moralischen Grundlagen einer solchen Entscheidung von den verantwortlichen Stellen diskutiert und verantwortlich getroffen werden. Darauf kann und sollte der Handel keinen Einfluss haben. Wenn eine Veräußerungsentscheidung nach geltendem Recht getroffen wurde, spricht nach meiner Sicht nichts gegen die Vermarktung des Bestandes durch einen Antiquar oder Auktionator. Durch einen entsprechenden Katalog kann sogar manchmal als Nebeneffekt etwas gelingen, was zuvor unter öffentlicher Hand nicht erreicht wurde: eine wissenschaftliche Dokumentation der Sammlung. Peter Haßold, der einige Jahre sein Geschäft nicht in Deutschland hatte, ist seit diesem Jahr wieder Mitglied des Verbands Deutscher Antiquare und ein von uns sehr geschätzter Kollege. Nach unserer Ansicht ist sein Engagement in dem von Ihnen erwähnten Fall durchaus anerkennenswert. Ich meine übrigens, dass die Bezeichnung 'Causa Stralsund' einen (rechtlich einwandfreie Vorgehensweise der Entscheidungsträger vorausgesetzt) durchaus normalen Vorgang überbewertet."