Meinung

"Keiner hat sich mit Ruhm bekleckert"

14. November 2012
von Börsenblatt
Über einen Kollegen, der Kulturgut via Ebay verhökert, ein Archiv, das seine Bestände nicht ordnungsgemäß bewahren kann und bigottes Gezeter. Ulrich Rose, Antiquar in Greifswald, zum Verkauf der Gymnasialbibliothek Stralsund.

"Nachdem das archäologische Museum im Schweriner Schloss 1992 geschlossen wurde, weil die Landtagsabgeordneten mehr Platz brauchten, wurden die meisten Exponate in zwölf Notdepots untergebracht, wo sie langsam aber sicher vor sich hin gammeln. Der Schaden ist unermesslich, doch es interessiert keinen. Schon gar nicht Minister Brodkorb. Und so klingt der Vorschlag des Landesamtsdirektors Michael Bednorz fast wie ein schlechter Scherz. Er will die besten Stücke bei Ebay versteigern, um wenigstens zu retten, was noch zu retten ist. Wie gesagt, nur ein Scherz – aber einer mit sehr viel Tiefgang." (siehe http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/fazit/1919593/)

Der Bednorzsche "Scherz" wirft ein ziemlich intensives Licht auf die Vorgänge um den Verkauf der Stralsunder Gymnasialbibliothek, der gerade bis hin zu staatsanwaltlichen Untersuchungen heftige Wellen aufwirft. Wie boersenblatt.net heute meldet, ist der Verkauf der Bücher über Ebay zwar gestoppt, damit ist aber das grundsätzliche Problem noch nicht gelöst.

1. Verkauf ganzer Bibliotheken
Bibliotheken, vor allem in öffentlichem Besitz, sind natürlich, ohne dass es dazu eines rechtlichen Verfahrens bedürfte, "nationales Kulturgut", das entsprechend zu schützen ist. Wenn wir aber einmal an unserem Regal mit Auktionskatalogen vorbeischlendern und die Rückenbeschriftungen betrachten, so sind Verkauf bzw. Versteigerung von ganzen Bibliotheken aus privater Hand, aus kirchlichem Besitz oder aus öffentlichen Bibliotheken keine Seltenheit – wodurch gerade jetzt der Aufschrei von Bibliothekar_innen und Archivar_innen evoziert wurde, vermag ich nicht zu beurteilen. Der Sache nach hätte er, Berechtigung vorausgesetzt, schon zu Beginn des Buchhandels überhaupt erfolgen müssen.

2. Zerschlagung von Sammlungen
Die Bestände von auch sehr alten Bibliotheken haben häufig ihren Wert nicht durch die einzelnen Bücher, sondern durch ihr Ganzes – welches, gerade bei Bibliotheken, mehr als die Summe der Teile ist. Zusammensetzung, Sortierung, Katalogisierung, Einordnung von Schenkungen, Nutzerverzeichnisse etc. machen den Wert aus. Dieser ist nicht bezifferbar und entzieht sich den Kriterien des Handels, obwohl er beim Kauf natürlich zu berücksichtigen ist.

3. Aufbewahrung von Büchern in Zeiten leerer kommunaler Kassen
Das Eingangszitat schildert auch die Situation der Stralsunder Bibliothek bzw. ihre Aufbewahrung. Vor allem die gegebenen feuchten und kalten Räume, in denen die Bibliothek und die übrigen Bestände des Stralsunder Archivs lagern, schaden den Büchern mehr als die Nutzung von Leser_innen, Umzüge oder Feuersbrünste. Wir alle kennen den Geruch von Schimmel und feuchtem Hadernpapier, der uns vom ersten Moment an Abstand vom Kauf eines Buches oder gar einer Bibliothek nehmen lässt. Alle diejenigen, die sich jetzt fürchterlich erregen über den "Kulturfrevel", der in Stralsund begangen worden sei, hätten sich schon eher um die Bibliotheken und ihre Aufbewahrung kümmern müssen. Ich behaupte: Jedem einzelnen bereits verkauften Buch geht es jetzt besser als in den Zeiten, als es noch mit seinen Ensemble-Kolleg_innen im Archivregal stand. Nur öffentlicher Besitz allein ist keine hinreichende Voraussetzung für den Erhalt einer Bibliothek; es muss auch viel Erhaltungswillen und, vor allem, viel Geld dazukommen.

4. Antiquarische Sorgfaltspflicht
Ich halte Kauf und Verkauf von Büchern und Bibliotheken, die Sammlungen darstellen, nicht für ein kulturelles Verbrechen – wenn mindestens eine Bedingung erfüllt wird: die sorgfältige Aufarbeitung des Ankaufs bis zur letzten Seite der langweiligsten Zeitschrift aus dem 18. Jahrhundert. Die Ergebnisse der fachgerechten Aufarbeitung müssen, beispielsweise in Gestalt eines Katalogs mit umfangreicher Beschreibung der einzelnen Stücke (modernere Erfassung und Präsentation ist natürlich immer möglich…), für Interessierte zugänglich sein und selbst zum Teil des kulturellen Erbes werden.

5. Don'tsEin Verhökern von nur knapp beschriebenen Einzelstücken via Internet-Auktionsportal geht gar nicht (so viel zu Ihnen, werter Kollege); eine Aufbewahrung von national wertvollem Kulturgut, die zur Zerstörung eben dieses Kulturguts führt, ebenfalls nicht (soviel zu, in diesem Falle, Mathias Brodkorb, Kultusminister in Mecklenburg-Vorpommern).

Schlussfolgerung
Die Kommunen sollten in den Stand versetzt werden, ihr Kulturgut fachgerecht aufzubewahren. "Antiquar_in" sollte endlich eine geschützte Berufsbezeichnung werden, die sicherstellt, dass genanntes Kulturgut nicht bei Ebay verhökert wird. Mit Ruhm hat sich in diesem Falle keine der Seiten bekleckert. Trotzdem erscheint mir der zu späte und nur auf diesen einzelnen Vorfall gerichtete Aufschrei bigott. Erhaltung von bedeutendem Kulturgut darf nicht zu einer Sentenz in Sonntagsreden werden, sondern muss für diejenigen, die das Gut zu bewahren haben, auch mit einer entsprechenden Ausstattung verbunden sein. Ansonsten ist ein fachgerechter Verkauf auf dem antiquarischen Markt allemal besser – für das Kulturgut!

Ulrich Rose

Die Redaktion dankt Dr. Ulrich Rose, zu dessen Spezialgebieten die Landesgeschichte Pommerns und Mecklenburgs gehört, herzlich für seine Bereitschaft, sich grundsätzlich zu einer für den Antiquariatshandel zentralen Thematik zu äußern.