Gastspiel

Gefährliche Treue

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Warum der Buchhandel eine Metadatenbank braucht, um gegen Amazon bestehen zu können. Von Dieter Dausien.
Als ich 1975 meine Ausbildung zum Buchhändler begann, da war das Wissen über lieferbare Bücher noch in grünes Kunstleder gebunden. Ich erinnere mich gut, wie unser Bibliografie-Lehrer Herr Dr. Hodes davon schwärmte, welch epochale Errungenschaft es war, den gesamten deutschsprachigen Buchmarkt über einen einzigen Katalog zu erschließen.

Diese Zeiten sind längst vorbei. Heute gilt es, diesen epochalen Schritt auf den Webseiten des Buchhandels nachzuvollziehen. Seit Mitte der 90er Jahre stehen die Daten des VLB unter www.buchhandel.de öffentlich abrufbar im Internet, das Bibliografier-Monopol für den Handel ist Geschichte. Mit der Zeit haben das die Buchkäufer mitbekommen und nehmen der Buchhandlung vor Ort zunehmend die Recherche-Arbeit ab, in welcher Qualität auch immer. Heute allerdings ist die Standard-Informationsquelle der meisten Buchkäufer nicht mehr die Buchhandlung und auch nicht eine Institution der Buchbranche, sondern ein, wenn auch bestens sortierter, Gemischtwarenhändler mit seinem Online-Angebot.

Wenn man mit Kollegen über dieses Thema spricht, wird immer wieder gern die Situation beschworen, in der ein Kunde mit einem kleinen Ausdruck in den Laden kommt, diesen der Buchhändlerin unter die Nase hält, um das darauf aufgeführte Werk zu bestellen, und siehe, der Zettel verrät deutlich seine Herkunft: die Amazon-Website. Man freut sich über die Treue des Kunden und hat das Gefühl, dem großen Bruder ein kleines Schnippchen geschlagen zu haben. Doch die Fortdauer des Treueverhältnisses ist durch den hervorragenden Service von Amazon extrem bedroht.

Wenn das Sortiment auch nur annähernd gegen Amazon bestehen will, ist es eine Notwendigkeit, dass es seine Kompetenz endlich auch online abbilden kann. Der Status quo ist bekanntlich so, dass sich der Buchhändler entscheiden muss: Entweder er nutzt eine Barsortimentsdatenbank – mit den bekannten Vorteilen: ausgezeichnete Datenqualität, essenzielle Nebensortimente wie DVDs, Musiktitel oder Nonbooks sowie eine Vielzahl fremdsprachiger Titel. Und mit dem Nachteil, nur ein Drittel der verfügbaren deutschsprachigen Verlagsproduktion zeigen zu können. Oder er bietet mit der VLB-Datenbank die Vollständigkeit des deutschsprachigen Buchmarkts, jedoch unter Aufgabe der genannten Vorteile der Barsortimente. Von der leider nach wie vor beklagenswerten Datenqualität des VLB einmal abgesehen.

Der einzige Weg aus diesem Dilemma ist eine gemeinsame Metadatenbank, die aus VLB- und Barsortimensdaten generiert wird. Andere relevante Datenbanken könnten hinzukommen, wie Fachzeitschriftenkatalog oder die Bestände ausländischer Barsortimente. Je nach Barsortiments- und Sortimentszuschnitt könnten die von der Buchhandlung gewählten Datenbestände gemischt, priorisiert und auf ihrer Website dem Kunden angeboten werden. Titel, die ein Barsortiment nicht (mehr) führt, würden nicht sofort als "Nicht lieferbar" angezeigt, sondern würden zunächst in den Datenbeständen des zweiten Barsortiments beziehungsweise des VLB gesucht und gegebenenfalls gefunden.

Das Beispiel des stets lieferbaren, bei den Barsortimenten jedoch zeitweise ausgelisteten WWF-Buchs unterstreicht die missliche Abhängigkeit der Sortimente von der Angebotspolitik ihres Barsortiments. Mit der Metadatenbank wäre es überdies möglich, zu zeigen, was Amazon nicht abbilden kann: Buchbesprechungen des Sortiments, Haustitel der Buchhandlung, Lesungen und vieles mehr.

Um eine solche Metadatenbank ins Leben zu rufen, ist eine gemeinsame Anstrengung aller Barsortimente und der MVB notwendig. Erst diese Kombination von Angebotsbreite und buchhändlerischer Kompetenz könnte dem einen Anbieter Paroli bieten, bei dem man fast alles findet: sogar eine gebundene Ausgabe des VLB von 1975 / 76. Bei 30 Euro wäre ich da fast schwach geworden, aus reiner Nostalgie sozusagen.