Kommentar

Digitale Tupperparty

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Die Branche jagt von einem Digitalkongress zum nächsten. Inzwischen sind die E-Publishing-Gipfel selbst ein interessantes Geschäftsmodell – doch irgendwann häufen sich die Déjà-vus. Ein Kommentar von Börsenblatt-Redakteur Michael Roesler-Graichen.

Digitaler Wandel und digitaler Handel sind gute Freunde. Auch dort, wo sich in diesen Tagen und Wochen Verleger, Blogger, IT-Experten und Social-Media-Manager zu einer der zahlreichen E-Konferenzen anmelden, ziehen findige Organisatoren mit kaufmännischem Geschick im Hintergrund die Strippen. Wie sollte es anders sein: Immer dann, wenn eine Branche einen Strukturwandel zu bewältigen hat, braucht sie Berater und Netzwerker, die die Professionellen zusammenbringen, die Wissen verbreiten und Diskussionen in Gang bringen. Und wenn sie damit Geld verdienen, ist das ihr gutes Recht.

Inzwischen prosperiert das Geschäftsmodell Digital-Kongress allerdings in einem Maße, dass die Ressourcen-Frage zu stellen ist. Den Veranstaltern gehen allmählich Ideen und Themen aus – selbst unter dem Aspekt der kompositorisch sinnvollen Variationen. Und die Keynote-Speaker nehmen an einem Rota­tionsverfahren teil, wie es die Fernsehanstalten für ihre Talkshow-Gäste etabliert haben. Mit ihnen zieht die Kon­ferenzkarawane von Ort zu Ort, von Gipfel zu Gipfel.

Die Gesetze des Marktes gelten aber nicht nur für die Expertentreffen selbst, sondern auch für die dargebotenen Themen: Sie sind inhalts- und produktbezogen. Information und Marketing gehen Hand in Hand, und auch darüber sollte sich niemand mokieren, selbst wenn man in dunklen Momenten denkt, man habe sich auf eine digitale Tupperparty verirrt. Marken- oder Waren­image strahlen zudem die vielen Selbstvermarkter und Kommunikationsgenies aus, die durch ihre Performance wesentlich zur Kongress-Folklore beitragen. Zugleich sind sie, unentbehrlich wie in politischen Dingen, Simultandolmetscher des digitalen Fortschritts. Überall panelt, postet, twittert es, dass die »walls« wackeln. Und das Auditorium über den physiologischen Tiefpunkt am Nachmittag kommt.