avj-Kindermedienseminar

Experimente in alle Richtungen

27. November 2012
von Börsenblatt
War in Bezug auf das Thema Digitales Publizieren vor einem Jahr noch viel Skepsis bei den Kinderbuchverlegern spürbar, so ist sie beim dritten avj-Kindermedienseminar im Münchner der Literaturhaus einer überraschend starken Euphorie bei den Referenten und im Publikum gewichen.

"Manche Taschenbuchverlage erwarten von uns, dass unsere E-Books nicht günstiger sein sollen als die Taschenbücher, in der Hoffnung, den prognostizierten Niedergang des Taschenbuches hinauszuzögern", sagte Thienemann-Verleger Klaus Willberg heute in München, wo die Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen (avj) und die Akademie des Deutschen Buchhandels zu einem vertiefenden Seminar zum Kindermedienkongress am Vortag eingeladen hatten. Die Taschenbuchverlage produzieren jedoch selber Apps und E-Books und suchen ebenso nach idealen Verkaufspreisen. Auch wenn die Kinderbuchverlage weiter tüchtig Hardcover und Taschenbücher anbieten, war man sich auf dem Kindermedienseminar einig, dass die Zeit für digitale Bücher gekommen ist. Die "Räuber Hotzenplotz Spiele App" etwa wurde bisher 5000-mal verkauft. "Ich werde kein Personal in den Lektoraten aufstocken, eher in den Bereichen digitales Publizieren", so Willberg.

Der Schweizer Peter Haag, Verleger von Kein & Aber, sieht neue Wege für (Buch-) Ideen: „Ich kann mir vorstellen, dass ich nur Rechte an einer Idee kaufe und sie dann auch nur digital veröffentliche.“ Börsenblatt-Redakteur Michael Roesler-Graichen gab einen Überblick über die digitale Entwicklung im Buchmarkt und die möglichen Auswirkungen auf den Medienkonsum des Nachwuchses. Ist es ein Zufall, dass die Pixi-Bücher aufgeschlagen genau so groß sind wie der iPad-Screen? Markus Dömer, Leiter Business Development bei Carlsen, experimentiert zurzeit in viele verschiedenen Richtungen, u.a. mit einer digitalen Soap in Episoden à 99 Cent, die multimedial angereichert ist.  „Dafür gibt es keine Buchvorlage. Wir wollten etwas Originäres schaffen, ein von Grund auf neues digitales Buch“, so Dömer.

Christian Damke, früher verantwortlich für die Digitalisierung der Bücher der Verlagsgruppe Random House, ist seit 2010 Geschäftsführer von Skoobe, einer mobilen Bibliothek, die für Smartphones und Tablets funktioniert, aber (noch) nicht für E-Reader: "Die Geräte müssen über eine Internetverbindung verfügen. Zudem brauchen wir eine Infrastruktur, die bei Apps und im App-Store vorhanden ist." Skoobe ist im Februar 2012 gestartet, nähert sich der Marke von 10.000 Nutzern und verfügt aktuell über einen Bestand von 13.000 Büchern, davon 1.000 Kinder- und Jugendbücher. Die Mitgliedschaft kostet monatlich 9,99 Euro, aber das attraktive Start-Angebot könnte bald einer Beschränkung auf zwei Bücher pro Monat weichen, was Skoobe-Kunden kritisch sehen. Damke wies auf einen Umfrage hin, wonach 70 Prozent seiner Nutzer die Bücher, die sie via Skoobe gelesen haben, ohne Skoobe sonst ignoriert hätten. Skoobe versteht sich als eine Verwertungsstufe und als ein weiterer Vertriebskanal, der die Verlage pro ausgeliehenes Buch beteiligt.

Trotz digitalem Hype sei Print nach wie vor aber attraktiv und auch innovativ, meinte Alexandra Sender, Geschäftsführerin der Stiftung Buchkunst: "Die Cash Cow sind immer noch die gedruckten Bücher." Sie erläuterte Gegentrends wie die Themen Kleingärtnerei, Basteln, Stricken, Notizbücher und insgesamt die Rückwendung zum Stofflichen und Haptischen. Der Tastsinn werde mit digitalen Produkten nicht ausgereizt. Papier habe hier mehr zu bieten, u.a. auch Entschleunigung, Auschließlichkeit, Sequenzialität. Trotzdem denkt Sender über die Möglichkeit nach, als Stiftung Buchkunst künftig auch Apps und E-Books zu prämieren. Ebenso sieht sie, dass das Wachstum hier exponential verläuft. Daher standen zahlreiche Detailfragen zur Editionsform, zum Pricing und zum Vertrieb im Mittelpunkt des Seminars. "Wir müssen uns in der Welt der digitalen Produkte genauso gut auskennen, wie wir es in der Welt der gedruckten Inhalte tun", formulierte Klaus Willberg eines von vielen neuen Zielen für Kinderbuchverlage.