Kommentar zu Online-Bildungsmedien

Die Konkurrenz im Netz

6. Juli 2015
von Börsenblatt
Verlage, Start-Ups, aber auch freie Anbieter aus dem Netz, arbeiten an der digitalen Lernumgebung von morgen. Was das für Schulen, Verlage und Kultusbürokratie bedeutet, kommentiert Michael Roesler-Graichen.

Die Digitalisierung ist noch längst nicht in deutschen Klassenzimmern angekommen. Dennoch gibt es immer mehr Lehrer, Schulen und Kommunen, die auf elektronische Medien im Unterricht setzen und teilweise in Eigeninitiative die notwendige Hardware und die Inhalte anschaffen. Zudem gibt es seit vergangenem Herbst mit der Plattform „Digitale Schulbücher" des Verbands Bildungsmedien eine Lösung, das Lehrern und Schülern den Zugang zu elektronischen Unterrichtswerken ermöglicht. Bis zur Bildungsmesse Didacta 2013 werden rund 800 aktuelle Titel vorliegen, und es werden täglich mehr.

Hinzu kommt ein wachsendes Angebot an Online-Lernhilfen und an Unterrichtsmanagern, das teils von Verlagen, teils aber auch von branchenfremden Unternehmen und Start-Ups produziert wird. Das Ziel, das sich auch die Bildungsverlage auf die Fahne schreiben: eine digitale Lernumgebung zu schaffen, in der es ein integriertes Angebot von Unterrichts-, Planungs- und Nachhilfematerialien gibt, das die Bedürfnisse von Schülern, Eltern und Lehrern abdeckt. Auf der Didacta werden die ersten Schritte hin zu dieser Gesamtlösung "digitale Lernumgebung" zu besichtigen sein – auch für die Kultusbeamten, die das Thema nicht länger ignorieren und es stattdessen auf die Agenda setzen sollten.

Diese Entwicklung ist kein Abgesang auf den analogen Unterricht: Präsenzunterricht und die Verwendung gedruckter Schulbücher wird auch in Zukunft nicht an Bedeutung verlieren. Insofern sollte man das missionarische Pathos einiger Cyberclass-Apostel, das sich hervorragend mit der Lobbyarbeit von Technologieanbietern verträgt, nicht überbewerten. Die digitalen Medien bieten jedoch zusätzliche Möglichkeiten der Interaktion, des Feedbacks und der Vernetzung, die den Unterricht wesentlich effektiver gestalten könnten. Doch der Umgang mit diesem Potenzial will gelernt sein. Wenn Bildungspolitik und Lehrerausbildung dieses Thema nicht ernst nehmen, scheitert der Wandel.

Mit der Digitalisierung von Lernmedien allein ist es aber noch nicht getan: Hinzukommen müssen neue didaktische Konzepte, die nicht das gedruckte Schulbuch nur elektronisch reproduzieren und um einige Funktionen erweitern, sondern spezifische Lösungen für das Lernen im Netz entwickeln. Das Schulbuch 2.0 ist dann möglicherweise erst die gedruckte Version einer Online-Lernmatrix.

Dass Verlage – teilweise in Gemeinschaftsunternehmen mit Start-Ups (wie die Klett Gruppe mit K.lab Berlin) – neue digitale Unterrichtssysteme entwickeln, hat auch noch mit einem anderen Grund zu tun: der Gratis-Konkurrenz aus dem Netz.

Projekte wie die für Nutzer kostenlose Plattform Schulbuch-O-Mat und die sogenannten Open Educational Resources (OER), die im Netz von verschiedensten Initiativen, aber auch Unternehmen, bereit gestellt werden, sind eine Konkurrenz für das Geschäftsmodell der Bildungsverlage. Diese pochen auf die geprüfte Qualität ihrer Lehrwerke und durchlaufen zudem das von den Ländern vorgeschriebene Zulassungsverfahren für den Unterricht. Die meisten OERs hingegen sind ungeprüft und für den Unterricht an deutschen Schulen nicht zugelassen. Damit diese Online-Materialien nicht unkontrolliert die Klassenzimmer oder Schüler-PCs fluten, sollten die Kultusminister sich schnell der Sache annehmen.