Interview mit ver.di-Funktionär Heiner Reimann

"Amazon will nicht verhandeln"

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Auf dem Schreibtisch von Gewerkschafter Heiner Reimann landen zahlreiche Beschwerden von Amazon-Mitarbeitern aus dem Logistikzentrum Bad Hersfeld. Im Interview erklärt er, weshalb die Verhandlungen für einen Tarifvertrag nur schleppend vorangehen und warum sich das Unternehmen mit seinem herrischen Stil selbst schadet.

Haben Sie sich die ARD-Dokumentation „Ausgeliefert. Leiharbeiter bei Amazon" angesehen? Ja, das habe ich natürlich.

Was sagen Sie als ver.di-Sprecher in Bad Hersfeld zu den Vorwürfen gegen Amazon?In Sachen Arbeitsbedingungen und Unterbringung der Leiharbeiter kann ich die Darstellung in der Dokumentation nur bestätigen. Ich habe die Quartiere für die Leiharbeiter mit eigenen Augen gesehen. Andererseits tue ich mich mit der jetzt einsetzenden Pauschalkritik schwer. Im Vorfeld der Reportage etwa sind mehrere Beschwerden zur Unterbringungssituation und zu den Arbeitsbedingungen der Leiharbeiter bei mir eingegangen. Amazon hat auf Beschwerden meinerseits in einzelnen Fällen reagiert. Im Bericht wurde das allerdings mit keinem Wort erwähnt.

Dann ist alles nur halb so wild und die Kritik überzogen? Nicht alle Vorwürfe treffen ins Schwarze. Der Rahmen für die Arbeitsbedingungen in den Logistikzentren wird ja nicht von Amazon geschaffen, sondern von der Politik gesetzt. Wenn wir so ein großes Rad drehen wollen, dann muss man mit dem Finger zunächst auf die Politiker zeigen und fordern, dass sich die Richtlinien ändern. Leiharbeit ist in Deutschland legal. Die Kritik, die sich Amazon durchaus gefallen lassen muss, ist, dass das Unternehmen bei den Abrechnungen mit den Sozialkassen und bei den eigesetzten Security-Unternehmen zu wenig kontrolliert hat.

Wie sind denn die Arbeitsbedingungen in Bad Hersfeld?
Die Arbeitsbedingungen für bei Amazon sind für unbefristet Beschäftigte bei weitem nicht so skandalträchtig wie im Film dargestellt. Was die Kontrolle und Datenmessung der erledigten Arbeit angeht, ist das Unternehmen erstaunlich effektiv. Das würde ich mir auch für die Bearbeitung der Belange der Belegschaft wünschen. Die Kommunikation ist aber ein reines Senden und kein Empfangen.

Im Januar hat die Belegschaft in Bad Hersfeld über die Forderung eines Tarifvertrags abgestimmt: 2.494 Zettel wurden abgegeben. 2.032 Arbeiter, 82 Prozent, haben für die Einführung eines Tarifvertrags gestimmt. Wie geht es weiter? Wir haben in Bad Hersfeld zu Verhandlungen aufgefordert. Amazon will aber nicht verhandeln. Schon gegen das Wort scheint eine Abneigung zu bestehen. Stattdessen erklärt sich der Arbeitgeber höchstens bereit, „Gespräche" führen. Also haben wir Argumente ausgetauscht: Amazon sieht sich als Logistiker und kann nach einen Aussagen keine Tarifbindung für Versandhändler brauchen.

Sie teilen diese Ansicht nicht? Nein. Verdi hat Amazon darauf aufmerksam gemacht, dass es gerade in Zeiten von Tarifflucht eine gute Werbung für das eigene Image wäre, einen Tarifvertrag einzuführen. Stattdessen haben wir es an den einzelnen Standorten mit einer Hinhaltetaktik zu tun. In Leipzig gab es bereits zwei Gespräche – wie gesagt, keine Verhandlungen – nun wurde ein drittes anberaumt, ohne dass es etwas passieren würde. Das Unternehmen hat auch Mitarbeiterforen gegründet und Arbeitskreise für prekäre Themen eingerichtet: So kann man den Menschen ein Sammelbecken geben ohne etwas ändern zu müssen. Natürlich habe ich tiefsten Respekt vor den technischen Lösungen von Amazon und dem Handling von Bestellungen. Niemand erfasst und wertet die Daten in der Branche so gründlich aus wie Amazon. Der Konkurrenz ist das Unternehmen in dieser Hinsicht viele Jahre voraus – und zwar uneinholbar. Was die Führung der Mitarbeiter angeht, ist Amazon aber bei leider weitem nicht so weit vorne.

Was fordern Sie von Ihrem Arbeitgeber?
Die rechtliche Absicherung der Arbeitsbedingungen über einen Tarifvertrag. Einen sinnvollen Einsatz von Leiharbeit und vor allem eine Verbesserung der Kommunikation, die über reine Werbezwecke hinausgeht.