Ein Nachruf von Rainer Nitsche

Lutz Schulenburg, Verleger und Freund

3. Mai 2013
von Börsenblatt
Am 1. Mai ist der Mitbegründer und Verleger der Edition Nautilus, Lutz Schulenburg, im Alter von 60 Jahren nach kurzer, schwerer Krankheit gestorben. Ein Nachruf von seinem Kollegen und Freund Rainer Nitsche (Transit Verlag).

Lutz Schulenburg war kein Mensch, dessen Bekanntschaft einem oberflächlich zuflog, so zwischen zwei Messeparties, "Wir sehen uns" oder "Hallöchen". Er war zurückhaltend, nicht unbedingt skeptisch, aber norddeutsch reserviert. Sein hamburgisch-bergedorfer Akzent hatte etwas Bodenständiges, Trotziges, jeder Sprach- oder Feuilletonmode abhold. Und in diesem zunächst provinziell anmutenden Akzent konnte er mit Namen und Begriffen aus der anarchistischen, subversiven Geschichte ganzer Jahrhunderte und Kontinente jonglieren, dass einem schwindelig wurde. Tatsächlich blieben Anarchisten, seien sie aus Australien oder Nordschottland, aus den russischen Steppen oder den bayrischen Hochebenen, immer der Färbung ihrer erlernten Sprache treu – und waren trotzdem schon global (ob im Kopf oder zu Fuß) unterwegs, als es den Begriff noch gar nicht gab.

Diese Mischung aus Bodenständigem und Universellem, die man nur entdeckte, wenn man ihn genauer kannte, machte sein Selbstbewusstsein, seine manchmal abenteuerliche Selbstsicherheit aus, die sich auch im Programm seines Verlages oder im verlegerischen Alltag (Vertreterkonferenzen zum Beispiel) bewies, nicht immer zum Vergnügen aller Beteiligten. Wenn er etwas für richtig und wichtig hielt, dann verteidigte er das auch und ließ sich ungern ein Risiko (oder einen Umschlag) ausreden.

Unglaublich die Franz-Jung-Ausgabe, die er über Jahre mit akribischer Korrektheit und großer Liebe zu dem Autor herausbrachte, ein Band gelber und überraschender als der andere – wer diese Ausgabe vollständig hat (Lutz kannte die Namen der Abonnenten auswendig), kann sich glücklich schätzen.

Noch unglaublicher, dass dieser angeblich schon aus der Zeit gefallene "Altlinke" (seine langen, zum Schluss weißen Haare waren nur die passende Tarnung) immer wieder frische politische Texte, neue Autorinnen und Autoren entdeckte ("Der kommende Aufstand") oder verlegte, die gerade bei jüngeren Lesern großen Anklang und Anhang fanden – auch das nur scheinbar ein Kunststück: Ein Rebell, der sich treu bleibt, wird eben nicht alt. So wie Emma Goldman, schon 1940 gestorben, deren Biographie bei Nautilus aber aktuell immer noch gefragt ist: Der Verlag wird heute noch von begeisterten Leserinnen um Autogramme der Autorin gebeten.

Dazu kamen immer wieder literarische Entdeckungen oder Wiederentdeckungen (unter anderen Abbas Khider, Thomas Meinecke, Jochen Schimmang, Noam Chomsky, David Graeber, Laurie Penny) sowie ein merkwürdiges Faible und eine gut ausgestattete Nase für außerordentliche Krimis (Robert Brack, Andrea Maria Schenkel, Matthias Wittekindt), die gelegentlich Auflagen erlebt haben, von denen auch große, mainstream-orientierte Verlage nur träumen können. Mit anderen Worten: Dieser Kerl war nicht nur eigensinnig, er war auch noch erfolgreich.

Natürlich war er das nicht allein. Hanna Mittelstädt vor allem und von Anfang an, dazu sehr begabte junge Lektorinnen, Vertriebs- und Pressefrauen, die den Verlag Edition Nautilus im Auf und Ab in Schwung hielten (und jetzt hoffentlich weiter in Schwung halten).

Lutz Schulenburg war ein unerschütterlicher Anhänger der kleinen und mittleren Sortimente. Er konnte richtig böse werden, wenn Vertreter oder Kollegen eine kleine Buchhandlung im Hessischen oder Westfälischen nicht mehr besuchen wollten, weil es sich nicht mehr "lohnte". Gegen das "Lohnen" setzte er Treue, auch wenn die nicht immer erwidert wurde. Darin war er ganz altmodisch – und doch, wenn man sich die Entwicklung der Filialisten anguckt und neue Ideen wie "Buy local", auch wieder ganz vorne im Getümmel dabei.

Das letzte Mal trafen wir ihn in einem kleinen Kurort, Plau am See (Mecklenburg), wo er in einer Reha-Klinik eine schwere Operation auskurieren sollte. Es war einer der ersten sonnigen Tage in diesem Jahr, genau an seinem 60. Geburtstag. Wir saßen draußen an einem kleinen Kanal, aßen Fisch und danach selbstgebackenen Kuchen, wie sich das für einen runden Geburtstag gehört. Lutz saß blass, aber aufrecht da, seltsam sanft, seltsam würdevoll, aber zuversichtlich und mit einer etwas schrägen Mütze auf dem Kopf. Er erzählte aus dem Klinikalltag und freute sich über Pläne, die er mit einem anderen Patienten ausgeheckt hatte, um die Krankenhausküche handstreichartig zu übernehmen und radikal zu verbessern – zum Wohl aller Patienten natürlich. Als wir nach dem Geburtstagsessen aus Plau abfuhren, dachten wir: Lutz hat es geschafft, er hat das fast Unmögliche geschafft, diese schwere Attacke auf seine Gesundheit zu überleben.

Wir haben uns schrecklich geirrt. Am Morgen des 1. Mai, zehn Tage nach seinem 60. Geburtstag, ist Lutz Schulenburg gestorben.

 

Rainer Nitsche, Transit Verlag