Insolvenzverfahren

Suhrkamp zieht den Joker

28. Mai 2013
von Börsenblatt
Drei Monate hat Suhrkamp Zeit, um unter dem Schutzschirm ein Sanierungskonzept auszuarbeiten. Ob die Rettung gelingt, könnte auch davon abhängen, dass ein weiterer Investor gefunden wird.

Wenn in der Quizshow kurz vor dem Höchstgewinn die Antwort ausbleibt, gibt es das Instrument eines Jokers: Er kann den Millionen-Kandidaten eine Runde retten, schifft ihn aber nicht um die allerletzte Klippe, bei der es ums Ganze geht.

Bevor es ums Ganze geht – nicht um den Höchstgewinn, sondern die Existenz – hat Suhrkamp gestern einen juristischen Joker gezogen und beim Amtsgericht Berlin-Charlottenburg im Rahmen eines Insolvenzantrags das Schutzschirmverfahren nach dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) in Gang gesetzt. Es handelt sich dabei um eine milde Form des Insolvenzverfahrens – eine Vorstufe des klassischen Insolvenzverfahrens, die erst 2011 in die Insolvenzordnung aufgenommen wurde. Vorbild ist die US-Insolvenz nach Chapter 11, die mildeste Form des Konkurses, die das amerikanische Recht zu bieten hat. Es ermöglicht ihm die Reorganisation der eigenen Finanzen.

Das Schutzschirmverfahren gewährt dem Schuldner, also dem Suhrkamp Verlag, drei Monate Zeit, um in Eigenverwaltung seine Finanzen zu sanieren – mit dem Ziel, eine Überschuldung oder drohende Zahlungsunfähigkeit abzuwenden. Eine Überschuldung würde nach Ansicht des Verlags eintreten, wenn alle Ansprüche auf Ausschüttung der Bilanzgewinne (ein Gesamtbetrag von 8,2 Millionen Euro) geltend gemacht würden.

Während der drei Monate genießt das Unternehmen Vollstreckungs- und Gläubigerschutz. Barlachs Medienholding, die einen vorläufigen Gerichtstitel zur Auszahlung einer Summe von 2,2 Millionen Euro aus dem Bilanzgewinn 2010 in der Hand hat, könnte so bis Anfang September seine Forderung nicht vollstrecken.

Das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg hat den Schutzschirm aber nicht ungeprüft gewährt: Er wird nur aufgespannt, wenn der Antrag des Schuldners auf Eigenverwaltung „nicht offensichtlich aussichtslos" ist, wie es in Paragraf 270a der Insolvenzordnung (InsO) heißt. Zudem darf der Schuldner noch nicht zahlungsunfähig sein.

Dass das Gericht eine Perspektive für den Verlag sieht, beweist die Bestellung eines „Sachwalters". Er wird nur eingesetzt, wenn es Aussicht auf Rettung gibt. Der Sachwalter, Professor Rolf Rattunde von der auf Insolvenzrecht spezialisierten Berliner Kanzlei Leonhardt Rechtsanwälte, unterstützt die Geschäftsführung des Unternehmens bei der Sanierung in Eigenverwaltung, muss bei allen Entscheidungen mitwirken, – hat aber nicht die volle Verfügungsgewalt wie ein Insolvenzverwalter (Paragraf 270c InsO).

Der Suhrkamp Verlag hat nun also ein Vierteljahr Zeit, um ein Sanierungskonzept zu entwickeln, das er dann als Insolvenzplan dem Gericht zur Prüfung vorlegen muss. Sollte sich aber im Laufe des Schutzschirmverfahrens zeigen, dass die angestrebte Sanierung aussichtlos wird, kann das Gericht das Schutzschirmverfahren aufheben. In diesem Falle würde über dann über die Eröffnung eines „klassischen" Insolvenzverfahrens entschieden.

Worin könnte die Rettung des Suhrkamp Verlags liegen? Der Verkauf irgendwelcher Vermögensgegenstände oder Rechte kommt nicht in Betracht, da für die Zeit des Schutzschirmverfahrens ein sogenanntes Verwertungsverbot besteht. Auch die Rechte der Gesellschafter (Unseld Familienstiftung und Medienholding AG) bleiben unberührt. Zudem sind die Ausschüttungsverpflichtungen für die Dauer des Verfahrens ausgesetzt.

Der 2011 in die InsO eingefügte Paragraf 225 a erlaubt allerdings, dass im Insolvenzplan eine Umwandlung von Gläubigerforderungen „in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte am Schuldner" vorgesehen wird. Die umgewandelten Forderungen der Medienholding AG unter Hans Barlach könnten also zu einer Erhöhung der 39-prozentigen Beteiligung an der Verlagsholding führen – vorausgesetzt, Hans Barlach als Gläubiger würde dem zustimmen. Das Ganze ist wahrscheinlich mehr als hypothetisch. Wollte die Medienholding angesichts dieser Rechtslage als Gesellschafter austreten (Paragraf 225a Abs. 5), hätte sie Anspruch auf eine Abfindung. Zur Vermeidung einer „unangemessenen Belastung der Finanzlage des Schuldners" könnte die Auszahlung der Abfindung allerdings „über einen Zeitraum von bis zu drei Jahren gestundet werden". Für die Medienholding bedeutet dies: Sie kann für die Dauer des Schutzschirmverfahrens und unter Umständen darüber hinaus nicht mit einer baldigen Befriedigung ihrer Forderungen rechnen.

Klar ist nach alledem, dass sich Suhrkamp mit dem Gang unter den Schutzschirm Luft verschaffen will – auch wenn Minderheitsgesellschafter Hans Barlach bestreitet, dass überhaupt ein Insolvenzgrund vorliegt. Um eine „harte" Insolvenz abzuwenden, wird Suhrkamp vermutlich einen Investor suchen müssen, der bereit ist, in die entstandenen Verbindlichkeiten einzutreten und der Gesellschaft so viel Kapital zuzuführen, dass eine gewinnorientierte Fortführung möglich ist.

Hier könnte Hans Barlachs Wort vom „Weißen Ritter" in Erfüllung gehen. Mit einem „Weißen Ritter" bezeichnen Aktionäre einen Investor, der einem von feindlicher Übernahme bedrohten Unternehmen zu Hilfe kommt. Wer dieser Investor sein könnte, ist immer noch offen, und die Spekulationen darüber schießen ins Kraut. Laut „Spiegel" gibt es diesen „Ritter" offenbar, und es soll angeblich eine Annäherung zwischen den Suhrkamp-Gesellschaftern in dieser Sache geben. Der Charme des Schutzschirmverfahrens liegt darin, dass der Gesellschafterstreit zunächst hinter der Sanierung zurückzustehen hat, die der von der Geschäftsführung beaufttragte Generalbevollmächtigte Frank Kebekus (Kebekus & Zimmermann Rechtsanwälte, Düsseldorf) und der Sachwalter Rattunde nun ausarbeiten. Alles andere, was jetzt vor allem auf der Bühne ausgetragen wird, ist psychologische Kriegsführung, die darüber hinwegtäuschen soll, dass hinter den Kulissen ernsthaft gehandelt und verhandelt wird.

(Die juristischen Erläuterungen zu den Paragrafen 270a bis c basieren zum Teil auf dem Steuerberatermagazin bdp aktuell, Online-Ausgabe 81 / 2012.)

Michael Roesler-Graichen