Kein zahnloser Tiger sein!

20. Juli 2015
von Börsenblatt
Martina Bergmann ist nicht auf den Buchtagen Berlin dabei. "Ein Buchhändler gehört in seine Buchhandlung, um es auf den Punkt zu bringen", meint die Sortimenterin. Warum die Pflege der Kernkompetenzen für Buchhändler vor Ort essentiell ist, erklärt sie auf boersenblatt.net. "Es gibt viele schöne Beispiele für zeitgemäßen Sortimentsbuchhandel", so Bergmann.

Alle reden über den Buchhändler, aber keiner spricht mit ihm. Er ist für überflüssig erklärt worden. Unfug! Der Buchhändler ist ein Fachmann wie Klempner, Maurer oder Dachdecker. Sein Handwerk heißt Inhalt. Geschichten, Berichte, Informationen – Wissen, in einem Wort. Wissen ist kein schnell zu erwerbender oder gar käuflicher Zustand. Wissen ist ein Vorrat, der sich aufbaut. Also bitte erst einmal: Respekt vor erfahrenen Kollegen. Auch im Internet.

Ich mag es ja, das Internet. Onlinehandel finde ich eine sinnvolle Ergänzung zum stationären Geschäft. Nicht zuletzt erreiche ich über das Web 2.0 viel mehr Leser, als in Borgholzhausen je zu Fuß herumspazieren könnten. Mir geht nur auf die Nerven, dass Computern eine Kompetenz unterstellt wird, die sie nicht haben können. Daten sind Informationen. Sie stellen kein Wissen dar. Doch genau das darf der Kunde von seinem Buchhändler erwarten.

Mein Lesewissen ist nicht kanonisch, sondern schichtenhaft entstanden. Bei all den technischen Möglichkeiten wird es doch niemals die Suchfunktion "Lieblingsroman von 1995" geben. Meiner war Nicholas Evans. Der Pferdeflüsterer. Ich sehe Augenbrauen in die Höhe schnellen: Literatur?! Nein, beileibe nicht. Der Pferdeflüsterer ist ein sehr schöner Unterhaltungsroman voller großer Gefühle. Fand ich halt mit sechzehn gut. Warum nicht?

Das ist der Kern des Buchhandelsproblems: Die Kunden fordern mehr als wir uns noch trauen. Sie können heute, wenigstens virtuell, sowieso alles sehen und haben. Gerade deshalb verlangen sie unsere Meinung, unsere Kompetenz: Sei da und schlag mir etwas vor. Sag mir, was Du gut findest. Das muss man sich trauen und trauen dürfen. Ein Buchhändler, der seine Erfahrung nicht einbringen kann, ist ein zahnloser Tiger - als Angestellter wie als Chef.

Gern schlanke Warenlager. Aber sie entstehen durch steten Abverkauf und nicht durch Standardsortimente. Auch Marketing ist ein von Buchhändlern gern abgelöstes Thema. Dabei kann man ein Bild von sich nur selbst verbreiten. Schwarz-gelbe Alarmstreifen sind noch keine Marke. Genauso: Veranstaltungen. Eine Lesung ist nicht dadurch originell, dass sie stattfindet. Sie ist dann gut, wenn der Buchhändler als Gastgeber wahrgenommen wird.

Ein Buchhändler gehört in seine Buchhandlung, um es auf den Punkt zu bringen. In dieser Buchhandlung haben sich Bücher zu befinden, mehrheitlich. Ich will von der Kompetenz der Verkaufspersonen ausgehen - in den Geschichten wie im technischen Hilfsgerät. Und ich will mich darauf verlassen, dass sie ihr Sortiment selbst zusammenstellen. Neben Bibliographieren, Beraten und Beschaffen ist die Auswahl für ein jeweiliges Publikum buchhändlerische Kernkompetenz. Sie stärkt sein Profil und schafft damit eine Marke.

Bücher beim Buchhändler: Das geht 2013 anders als 1978 oder noch vor fünf Jahren. Es gibt viele schöne Beispiele für zeitgemäßen Sortimentsbuchhandel. Nostalgisches Beharren und blinder Aktionismus gehören aber nicht dazu, auch keine Polemik und sicher nicht die Grabenkämpfe von Print- und Digitalverfechtern. Das alles kostet Zeit, die man anders nutzen kann: Um Bücher zu lesen und sich mit den Kunden und Kollegen darüber auszutauschen. Deswegen fahre ich nicht zu den Buchtagen nach Berlin. Ich habe dafür einfach keine Zeit.