Wagenbach: Salto

"Man kann verrückte Sachen machen"

11. Juli 2013
von Holger Heimann
Es gibt Buchreihen, die perfekt funktionieren, weil anspruchsvoller Inhalt und exzellente Gestaltung eine Einheit bilden: Die von Klaus Wagenbach und Rainer Groothuis 1987 begründete Reihe "Salto" (mit dem "A" auf dem Kopf) gehört zu dieser Gattung. Im August erscheint der 200. Band.

"Ein geniales Konzept. Wenn diese Reihe nicht schon erfunden worden wäre, müsste man das schleunigst tun." Das sagt die Berliner Buchhändlerin Christiane Fritsch-Weith begeistert. Die Idee zu den Büchern mit den roten Leineneinbänden hatten der Verleger Klaus Wagenbach und sein Hersteller Rainer Groothuis. "Bei Wagenbach waren fast ausschließlich Broschuren erschienen. Das wollten wir ändern. Und uns war klar: Wir machen es anders als die anderen, also keine Schutzumschläge", erinnert sich Groothuis. Gewählt haben sie zudem ein ungewöhnliches Format: schmal und hoch. Bücher für die Jackentasche, aus der das rote Leinen herausragen sollte. Man fand den schönen Namen "SALTO" und seit je steht das "A" dabei auf dem Kopf.

"Einen Salto im Kopf" assoziiert Susanne Schüssler, die den Verlag in der Nachfolge von Klaus Wagenbach leitet, mit der Bezeichnung. "Man kann verrückte Sachen machen", sagt sie und spielt damit auf die programmatische Breite der Reihe an, in der Gedichte ebenso erscheinen wie Sachbücher, kurze Romane ebenso wie Erzählanthologien und sogar Kochbücher. Das ist von Anfang an so, seit die Reihe 1987 vornehmlich mit Originalausgaben startete. Hinzugekommen sind später die literarischen Einladungen, Städte und Regionen zu entdecken. Sehr behutsam und kaum merklich wurde das Äußere im Laufe der Jahre modifiziert, geblieben sind das eigens für die Reihe gefärbte rote Leinen, die Fadenheftung und das aufgeklebte Schildchen. Jedes Jahr erscheinen mindestens acht neue Titel, zwischen 84 und 168 Seiten dünn.

"Dass die Reihe oft kopiert wurde, wundert wenig. Länderübergreifend darf es als Zeichen der Anerkennung gesehen werden; wenn dies auf dem deutschen Markt geschieht, dann ist das eher peinlich", schreibt Schüssler in der aktuellen Verlagsvorschau. Die Druckerei Clausen & Bosse, bei der die Saltos produziert wurden, habe sich eigens "eine Maschine für in Blindprägung eingeklebtes Schildchen der Reihenbände" angeschafft. "Die Maschine war natürlich nicht ausgelastet, daraufhin hat Clausen & Bosse das Verfahren anderen Verlagen angeboten. Plötzlich sind ähnliche Bücher überall aufgetaucht. Das fanden wir nicht besonders lustig", sagt Schüssler. Mittlerweile besorgt die Druckerei Kösel die Herstellung, die Schildchen werden handgeklebt. Die zahlreichen Nachahmer mögen es gewesen sein, die den Verlag dazu bewogen, "Salto" 1992 als Marke schützen zu lassen. 2012 wurde die Schutzdauer verlängert. Sie gilt jetzt bis 2022.

Im August erscheint der 200. Band: "Lob der Schulden" von der französischen Philosophin Nathalie Sarthou-Lajus. Als Anspielung auf die Reihe – nach dem Motto schön, aber unrentabel – taugt der provokante Titel jedoch nicht, ganz im Gegenteil: "Unter den Salto-Bänden sind viele sehr erfolgreiche Titel, ohne dass der Buchhändler es richtig spürt", sagt Schüssler. Der Grund dafür ist einfach, viele Bände sind Longseller, mehr als die Hälfte der erschienenen Bücher sind in zahlreichen Nachauflagen noch immer lieferbar. Von manchen jedoch ahnt man zumindest, dass sie über die Maßen begehrt sind: Die Gedichte von Erich Fried und Alan Bennetts Liebeserklärung an die Queen, "Die souveräne Leserin" wurden mehr als 400.000 mal verkauft. Bennetts Buch ist zudem das einzige der Salto-Reihe, das in einer Sonderausgabe im Vorjahr nicht in leuchtendes Rot eingebunden, sondern passend zum Jubiläum der Königin in blaue Seide gehüllt erschien.

Die Mindestauflage für alle neuen Titel der Reihe beträgt 4.000 Exemplare – eine geringere Stückzahl wäre unrentabel, zu teuer sind die Bände in der Herstellung, zu preiswert im Verkauf; die obere Preisgrenze ist bei 15,90 Euro. In den seltenen Fällen, in denen der Verkauf hinter den Erwartungen zurückblieb, habe man möglicherweise dem Leser zu viel zugemutet, sinniert Schüssler. Anspruchsvoll sollen die Bücher sein, experimentell hingegen nicht. Meist ist es indes gelungen, Neugier und Interesse zu wecken. Mehr als zwei Millionen Exemplare wurden bis dato alles in allem verkauft, von jedem zehnten Titel über 25.000 Exemplare.

Schüssler glaubt, dass die Reihe heute mehr denn je goutiert wird: "Die Lust auf das handwerklich hochwertige Buch in Zeiten von E-Book und Wegwerfbuch wächst." Keinen einzigen Salto-Band gibt es bisher im E-Book-Format. Das soll bis auf weiteres auch so bleiben. "Ich wüsste keinen guten Grund, warum wir das ändern sollten", sagt Schüssler. Das Diktum gilt freilich nur für die Saltos. Andere Wagenbach-Titel sind elektronisch wie auf Papier verfügbar.

"Sie wissen schon: die roten Bücher", mit diesen Worten kommen manchmal Kunden in den Buchladen von Fritsch-Weith am Bayerischen Platz. Und für die Inhaberin ist klar: Es sind die Saltos, die da gesucht und gern verschenkt werden. "Es ist eine Reihe, die nicht altert und perfekt funktioniert", sagt Fritsch-Weith. Sie muss es wissen. Sie weiß schon ...