Die Sonntagsfrage

Bücher und Delikatessen: Wie passt das zusammen, Herr Németh?

1. September 2013
von Börsenblatt
András Németh (43) steigt um: Der ehemalige Marketingchef der Schweizer Buchhandelskette Orell Füssli verlegt sich auf den Handel mit ausgesuchten Lebensmitteln – und kann sich doch nicht von Buchbranche lösen. Über sein Amt als Präsident des Schweizer Bücherbons will er weiterhin Kontakt zu seinen Kollegen von einst halten. Warum ihm das wichtig ist?
Für mich ist das jetzt ein Schritt in ein neues Leben, auch wenn ich im Grunde nur von einer Leidenschaft zu einer anderen switche: vom Lesen zum Essen. Die Hürde ist also gar nicht so hoch. Ich werde weiterhin verkaufen, mache weiterhin Einzelhandel. Der größte Unterschied zu meinem bisherigen Leben besteht darin, dass ich wieder selbst im Laden stehe, direkt mit Kunden und den Produzenten meiner Waren reden kann – und dass ich das als selbstständiger Unternehmer tue. Heute, am 1. September, geht es los.    

Mein Laden in der Zürcher Markthalle Im Viadukt ist etwa 90 Quadratmeter groß. Er heißt Berg und Tal Marktladen. Das bringt schon inhaltlich auf den Punkt, worum es geht: um alles, was auf den Bergen und in den Tälern der Schweiz hergestellt wird. Bei mir gibt es Biohonig, Sirups, Konfitüren, Gebäck, Kaffee von lokalen Röstereien, verschiedene Tees, Würste aus den Bergregionen, Edelbrände, Schweizer Pasta und Reis aus dem Tessin.

Berg und Tal ist das Motto – an diesem Konzept werde ich ganz nah dranbleiben. Ich verkaufe nur Produkte von Produzenten, die noch selber herstellen und keine künstlichen Zusatzstoffe verwenden. Die Produkte müssen nicht immer Bio sein, aber sie sind ehrlich hergestellt. Meine Aufgabe sehe ich darin, Kunden die Geschichten der Produzenten nahezubringen und sie so davon zu überzeugen, dass Qualität einen ganz anderen Wert hat – als einfach nur der Preis. Diese Geschichten erzählen zu können: Das ist für mich ganz fantastisch, ich bin ich seit über zehn Jahren Slow Food-Mitglied.

Bücher wird es bei Berg und Tal nicht geben, zumindest vorerst. Für das nächste halbe Jahr habe ich mir – nach 23 Jahren im Buchhandel – eine Bücherpause auferlegt. Bücher kann ich, das ist das einfachste. Ich werde mich deshalb jetzt erst einmal nur auf die Dinge konzentrieren, bei denen ich noch dazulernen kann, auf Lebensmittel. Früher oder später nehme ich aber wahrscheinlich auch Bücher dazu. Für mich ist das aus heutiger Sicht eine lustige Vorstellung: Des Buchhändlers Non-Books sind bei mir sozusagen die Bücher, also Zusatzverkäufe. Doch ich will nicht abschweichen, zurück zu: Bücher und Delikatessen.

Ich trenne die beiden Themen, aber sie haben sicher auch viel miteinander zu tun. Es ist ein Glücksfall für mich, dass ich – trotz Ausstieg – meine Kontakte zu Kollegen aus dem Buchhandel halten kann: Drei Jahre war ich Vizepräsident der Genossenschaft Schweizer Bücherbon, und wurde jetzt von den Mitgliedern zum Präsidenten gewählt.

In dieser Funktion leite ich das Verwaltungsgremium. Das bedeutet: Ich bin dafür verantwortlich, dass das Einlösen und Abrechnen der Gutscheine im Buchhandel reibungslos abläuft, und dass das Geld, das Buchhändler zur Deckung der Gutscheine einzahlen, gut angelegt ist. Mir geht es darum, dieses System, an dem seit vielen Jahren fast alle Schweizer Buchhandlungen teilnehmen, für die Zukunft zu erhalten, ihm in seiner bisherigen Form Kontinuität zu geben.

Ich möchte das System so fortführen, wie es mein Vorgänger Jens Stocker (Buchhandlung Bider & Tanner in Basel, a.d.R.) viele Jahre getan hat. Es ist keine Revolution in Sicht. Beim Buchhandel insgesamt bin ich mir in diesem Punkt nicht so sicher: Im Moment sind alle ganz guter Dinge. Mir scheint, dass eine gewisse Erholung einsetzt – allerdings poltert die nächste große Herausforderung, nämlich die Digitalisierung des Buches, ja schon heftig an die Tür. E-Books erreichen in der Schweiz derzeit gerade mal einen Marktanteil von etwa drei Prozent, jedoch wird da noch viel passieren: Ich gehe davon aus, dass sich der Marktanteil auf 15 bis 20 Prozent erhöht. Darauf sollte sich jeder einstellen – egal, was er persönlich davon hält.

Dass ich selbst immer eher pro Digitalisierung gehandelt habe, ist bekannt. Ich habe die Digitalstrategie von Orell Füssli entwickelt, umgesetzt und mich zuletzt auch gefreut, dass die Dinge funktionieren und das Unternehmen hier recht gut unterwegs ist. Ich mache hier jetzt einen Schnitt, und freue mich darauf, das Thema mal andersherum aufzurollen: Die Produkte, die ich verkaufe, lassen sich nicht digitalisieren – eine digitale Wurst wird es auch in 1.000 Jahren nicht geben. Aber vielleicht entwickle ich endlich die Wurst mit drei Enden...


Der Schweizer Bücherbon existiert seit 1970 – seit 2001 wird das System genossenschaftlich betrieben (vorher unter dem Dach des Schweizer Buchhändler- und Verlegerverbands, SBVV). Der Bücherbon ist flächendeckend an derzeit knapp 500 Standorten für Kunden erhältlich und einlösbar – und steht für einen Umsatz von etwa acht Millionen Schweizer Franken pro Jahr. 2013 ist der Bücherbon erstmals Sponsor des Schweizer Buchpreises.