Die Sonntagsfrage

Herr Beekveldt, für wen produzieren Sie eigentlich Bücher in einfacher Sprache?

8. September 2013
von Börsenblatt
Fast ein Viertel der Bevölkerung kann nicht richtig lesen und schreiben. Der Münsteraner Verlag Spaß am Lesen gibt Bücher heraus, die genau solchen erwachsenen Lesern Mut machen wollen, sich mit Literatur zu beschäftigen. Geschäftsführer Ralf Beekveldt erklärt zum heutigen Welttag der Alphabetisierung, warum der Buchhandel ausgerechnet mit Lesestoffen für eine Zielgruppe punkten kann, von der es heißt, dass sie gar nicht liest.

In Deutschland gibt es 7,5 Millionen „funktionale Analphabeten". Das sind Erwachsene, die nicht richtig lesen und schreiben können. Darüber hinaus gibt es eine große Gruppe von Menschen, die ungern lesen und eine schlechte Rechtschreibung haben. Zusammen sprechen wir über ein Viertel der Bevölkerung (laut level one-Studie der Uni Hamburg, 2011). Für sie alle machen wir Bücher. Das klingt erstmal ziemlich dämlich. Denn wer nicht gut lesen kann, kauft sich freiwillig kein Buch, oder?! Warum machen wir das also? Lassen Sie mich eine Gegenfrage stellen: Können wir es uns leisten, 20 Millionen Menschen einfach links liegen zu lassen?

Unsere Welt ist eine Welt der Schrift: Fahrpläne, Formulare, Einkaufszettel, das Internet. Egal, ob im Job oder in der Freizeit: Überall müssen Sie lesen können. An bestimmten Punkten kommen funktionale Analphabeten an ihre Grenzen. Zum Beispiel, wenn sie ihren Kindern nicht bei den Hausaufgaben helfen können.

Ein solches Erlebnis kann ein Auslöser sein, sich Hilfe zu holen. Es gibt Alpha-Kurse für Erwachsene, zum Beispiel bei den Volkshochschulen. Versetzen Sie sich in die Lage dieses Menschen: Sie sind in einem Kurs und möchten lesen lernen. Normale Bücher verstehen Sie nicht. Sie sind zu schwierig. Vom Sprachniveau her müssten Sie Kinderbücher lesen. Aber Sie sind erwachsen und finden Kinderbücher … kindisch.


 

Bücher in einfachem Deutsch sind Hilfe zur Selbsthilfe. Denn lesen lernt man am besten durch lesen. Dafür braucht man als ungeübter Leser Bücher, die interessant und verständlich zugleich sind. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von einer Spirale des Lesens: Wer gern liest, liest öfter. Wer viel liest, liest besser. Wer gut lesen kann, liest gern. Und hier fängt der Kreis von vorne an.

Mit Büchern in Einfacher Sprache können ungeübte Leser ihre ersten „Lesekilometer“ machen.  Das bedeutet: Sie lesen und haben Spaß dabei. Für viele ist das eine neue Erfahrung, die sie unglaublich motiviert. Wenn dieser Schritt geschafft ist, geht das Lesenlernen fast von allein. Denn mit jeder Zeile gewinnen die Leser Sicherheit und Selbstvertrauen.

Deshalb vereinfacht der Spaß am Lesen Verlag aktuelle Bestseller. Wie zum Beispiel Ziemlich beste Freunde von Phillipe Pozzo di Borgo. Oder "Tschick" von Wolfgang Herrndorf (erscheint voraussichtlich im Oktober 2013). Vergleichen Sie selbst:

Original

"Wenn ich das im Film sehen müsste, würde mir mit Sicherheit übel, denke ich, und tatsächlich wird mir jetzt übel, auf dieser Station der Autobahnpolizei, was ja auch irgendwie beruhigend ist. Für einen kurzen Moment sehe ich noch mein Spiegelbild auf dem Linoleum auf mich zukommen, und dann knallt es, und ich bin weg."

Einfache Sprache

"Ich denke: Wenn ich das im Film sehen müsste, würde mir mit Sicherheit übel.
Und tatsächlich, mir wird übel. Ich kippe vom Hocker,
sehe noch das Linoleum auf mich zukommen.
Dann knalle ich auf den Boden und bin weg*.

*Bin weg: Hier: Bewusstlos werden, ohnmächtig werden."

Am Ende eines langen Weges traut sich unser Leser dann vielleicht auch an das Original.

Ein Problem bleibt. Unsere Leser gehen selten in eine Bibliothek oder einen Buchladen. Wie erreichen wir sie also? Im Moment erreichen wir vor allem zwei Kundengruppen. Die erste Gruppe sind die öffentlichen Bibliotheken. Es ist ihr Auftrag, Leseförderung zu betreiben. Immer mehr Bibliothek entdecken, dass auch Leseförderung für Erwachsene wichtig ist. Sie richten beispielsweise Abteilungen für Bücher in Einfacher Sprache ein. Die zweite Gruppe sind Multiplikatoren, die unsere Bücher nutzen: Kursleiter an Volkshochschulen oder in Integrationskursen, Betreuer in Einrichtungen der Behindertenhilfe und Lehrer in Förderschulen.

Beide Gruppen sind oft Stammkunden in der Buchhandlung ihres Vertrauens. Im Moment müssen sie Bücher in Einfacher Sprache meist bestellen.  Hier liegt eine Chance für den Buchhandel, die bisher kaum genutzt wird. Leseförderung als Thema für Erwachsene – das ist ein ziemlich neuer Gedanke. Bücher in Einfacher Sprache spielen dabei eine Schlüsselrolle. 20 Millionen Menschen würden im Moment kein Buch in die Hand nehmen. Begeistern wir sie für's Lesen – mit Büchern in Einfacher Sprache.

Übrigens: Dieser Text ist mit wenigen Ausnahmen in Einfacher Sprache geschrieben. Hätten Sie das gemerkt?