Konferenzreihe der FAZ zur Digitalen Transformation

Von Tante Emma zu Big Data

20. Juli 2015
von Matthias Glatthor
Zwischen Data Mining  und Intuition: Ein hochkarätiges Podium diskutierte gestern Abend im Frankfurter Haus des Buches über das Thema "Der Mensch und Big Data − wer beherrscht wen?" Der zweite Teil der Konferenzreihe der FAZ zur Digitalen Transformation war zu Gast im Börsenverein.

Der Börsenverein hatte das Frankfurter Allgemeine Forum für die zweite Veranstaltung in das Haus des Buches eingeladen – rund 85 Zuhörer füllten das Plenum. Angelegt war das Ganze als "Deep Dive", als Diskussionsabend mit zugespitzter Fragestellung: Beherrschen die Daten die Menschen, oder umgekehrt? "Wer wäre ein besserer Partner als der Börsenverein", sagte Ulrike Berendson, die Geschäftsführerin des Forums, in ihrer Begrüßung. Und weiter: "Autoren bleiben hoffentlich komplexer als sich Algorithmen vorstellen können." 

Alexander Skipis, der Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, ergänzte: "Wir sind sofort und sehr gern in die Kooperation gesprungen, weil uns das Thema in der Tat bewegt." Es gehe darum, welchen Einfluss die digitale Revolution auf den kulturellen Schöpfungsprozess habe und wie man in Zukunft damit umgeht. "Big Data war vor fünfzig Jahren Tante Emma", so Skipis weiter, "die alles über ihre Kunden wusste." Dieses Wissen habe sie in ihrem ordnenden Geist bewertet, sie habe Stimmungen aufgenommen und daraus Verkaufsstrategien entwickelt. Heute dagegen würden die Daten massenhaft maschinell gesammelt, aber wo sei dieser ordnende Geist? "Hört auf zu sammeln, fangt an zu denken", so der Appell von Skipis.

 

Moderiert wurde der Abend von Frank Schirrmacher, Mitherausgeber der FAZ, der gleich das Generalthema vorgab. Es gehe um eine gesellschaftliche Änderung, "deren Dimension  unvorstellbar ist". Er führte ein Beispiel aus der literarischen Welt an: So hätten bereits erste Autoren nach Rückmeldungen von Lesern auf Online-Plattformen ihre Bücher umgeschrieben. Bei der Veranstaltung sollte es jedoch nicht, so Schirrmacher weiter, "um die Verdammung einer Entwicklung gehen, sondern darum, wie sich die Gesellschaft neu aufstellt". Dabei zog sich die NSA-Affäre als ein roter Faden durch den Abend.

Den Auftakt machten zwei Impulsvorträge von Yvonne Hofstetter, Managing Director von Teramark Technologies, und des Rostocker Philosophieprofessors Heiner Hastedt, die die Auswirkungen von Big Data auf die Menschen aus ihrer unterschiedlichen Sicht darstellten. "Ein Tsunami lernender Maschinen hat sich aufgebaut", warnte Hofstetter, deren Unternehmen unter anderem militärische Systeme entwickelt, "der auf uns zurollt." Mit einer Dynamik, die man nicht genau erfassen könne. Insbesondere im Militärbereich und auf dem Finanzmarkt werde verstärkt auf die Maschinenhilfe gesetzt. Als Konsequenz drohe die Preisgabe der Freiheit, schließlich auch der Verlust von Arbeitsplätzen (Stichwort: Künstliche Intelligenz). Der Philosoph Hastedt postulierte dagegen den "Wert des Nachdenkens", für den die Gesellschaft sich stark machen müsse − ein Mittel, um der Datenflut zu begegnen. "Eine Information jagt die nächste", so Hastedt, "ohne das die erste bereits verarbeitet ist." Für Selbsterkenntnis benötige man dagegen Ruhe. Allerdings sei nicht alles furchtbar an Big Data, es beinhalte durchaus Chancen.

Zur anschließenden Diskussion, moderiert von Frank Schirrmacher, gesellten sich zwei weitere Gäste auf das Podium: Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Club, und der renommierte Hirnforscher Wolf Singer. Während Kurz etwa auf die Gefahren einer möglichen Verselbständigung von Computersystemen hinwies, sorgte Singer mit seiner Aussage "Algorithmen sind unglaublich dumm" für Widerspruch in der lebhaften Runde. Yvonne Hofstetter etwa betonte die Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz, Teilbereiche menschlichen Handelns zu ersetzen. Mit der Dominanz der digitalen Welt durch eine Handvoll global agierender Industriegiganten sprach Schirrmacher ein weiteres Feld an. Ein europäisches Gegengewicht wurde als ein vager Lösungsvorschlag artikuliert. Auf individueller Ebene hob das Panel den Wert von Kontemplation und Intuition als probates Gegengewicht zum digitalen Diktat hervor. Für Literatur und Presse fand Wolf Singer zum Abschluss tröstende Worte: "Ein kreativer Schreiber kann durch einen Roboter nicht ersetzt werden."

Im Anschluss konnten Referenten und Zuhörer in der Lounge vor den Sälen Aspekte des Abends im Gespräch vertiefen.

Die Konferenzreihe der FAZ startete am 4. Juni in Berlin mit dem Thema „Mehr Daten, mehr Wissen?“ Der dritte Teil der Reihe findet im Mai/Juni 2014 wiederum in Berlin statt. Weitere Information finden sich auf der Website des Frankfurter Allgemeine Forums.